Fox und ich folgten den Spuren des dämonischen Tiers bis zur Straße. Dort war die Spur zu Ende. Ein großes Fahrzeug musste hier gewartet haben, ein SUV vermutlich, und das Biest mitgenommen haben. Wir suchten die Gegend ab. Überall lagen Zigarettenstummel. Die meisten waren von gewöhnlichen Marken, aber ein einziger Stummel stach heraus. Er war von einer exotischen Marke, die ich von einem alten Schulfreund kannte. Ein Künstler, der immer diese ägyptischen Zigaretten rauchte. Exquisites Papier, geprägtes Logo, kein Filter. Er nutzte dafür immer eine spezielle ovale Zigarettenspitze, um Nikotinflecken zu vermeiden. Das war ein echter Anhaltspunkt.
Ich rief sofort seine Eltern an, die mir seine Handynummer gaben. Er war begeistert von mir zu hören und wir tauschten ein paar Neuigkeiten aus, bevor ich ihn nach den Zigaretten fragte. Er rauchte zwar nicht mehr, erklärte mir aber, dass man diese Sorte nur im Tabakfachhandel bekam, nicht an Tankstellen oder in Kiosken. Schon vor zehn Jahren waren sie teuer, mittlerweile waren sie zu wahren Luxusgütern geworden. Er nannte mir eine Bezugsadresse und lud mich zu sich nach Hause ein. Dann beendete ich das Gespräch.
Alex rief ich als Nächstes an. Er bedankte sich für den Tipp und wollte den Laden offiziell besuchen, in der Hoffnung, die Kundenliste zu bekommen. Wir verabredeten uns für den Abend in einem nahegelegenen Restaurant. Er hatte sonst keine Neuigkeiten.
Fox musterte mich. „Du bist bewaffnet.“
„Ja. Ich war bei Boris. Hab ein wenig investiert.“
„Zeig her.“
Ich gab ihm mein Tomahawk und das Messer. Er spielte mit ihnen herum, spürte das Gewicht, machte ein paar Übungen und gab sie mir zurück. Dann nickte er anerkennend. „Wir müssen uns bereit machen, Mike. Das wird ein sehr hässlicher Konflikt.“
„Ist es schon“, erwiderte ich. „Ich habe alles für neue Pfeile, Bodkin- und Jagdspitzen. Ich kann eine ganze Menge davon für meinen Reiterbogen machen.“
„Gut. Ich brauche auch neue Kugeln. Lass uns in den Wald gehen und gemeinsam unsere Munition aufladen.“
Wir verbrachten den Nachmittag damit, Munition für unsere Waffen herzustellen. Am Ende hatte ich gut zwei Dutzend Pfeile mit Kriegs- und Jagdspitzen. Fox hatte seine Trommeln neu geladen und zwei Reserve-Trommeln vorbereitet. Zudem hatten wir in einem Ritual unsere Blankwaffen positiv aufgeladen. Jetzt waren wir bereit für den Kampf. Nur der Gegner fehlte noch.
Marlies kam zu uns in den Wald. Sie wirkte gefasster, aufgeräumter als zuletzt. Sie setzte sich unter einen Baum und blickte lange in das knospende Grün. Dann atmete sie tief durch und sagte: „Alex hat euch nicht erreicht. Er kommt gleich vorbei. Die Zigarettenspur ist gar nicht so schlecht. Und ich habe von einigen Zirkeln Antworten erhalten. Sie kennen Madame Claire und sehen sie als Gefahr. Sie sammeln Informationen für uns und werden uns diese bald zukommen lassen.“
„Das klingt toll“, erwiderte ich.
„Wenn ihr mögt, bleibe ich einfach hier sitzen.“
„Natürlich“, stimmte Fox ihr zu, setzte sich ihr gegenüber und schlug einen langsamen Rhythmus auf seiner Schamanentrommel. Ich kannte das. Er würde ihr dabei helfen, mit Bertolds Tod zurechtzukommen. Ich entfernte mich leise und ging zur Burg.
Ein unbekanntes Auto erreichte die Auffahrt. Ich war angespannt, bereit, wenn es sein musste, zu reagieren. Doch als Alex ausstieg, entspannte ich mich.
„Der Tipp mit den Zigaretten war Gold wert. Der Eigentümer des Tabakladens war sehr hilfsbereit. Er sagte, jemand kommt regelmäßig, um diese Sorte zu kaufen. Aber er zahlt immer in bar, weshalb wir die Zahlung nicht zurückverfolgen können. Er müsste aber in den nächsten Tagen wieder ein paar Stangen kaufen. Ich lasse den Laden jetzt überwachen. Mal sehen, ob es was bringt.“
Ich lud ihn zu einem Kaffee ein und wir gingen in die Bibliothek.
„Ich komme nicht weiter“, meinte ich. „Ich habe alle bekannten Bunker und Kapellen in der Region durchforstet. Nichts deutet darauf hin, wo unsere Freunde sind.“
„Willkommen bei der Spurensuche. Das ist immer kräftezehrend. Und wir haben gerade keinen wirklichen Anhaltspunkt. Dein Vater ist verschwunden. Gabriel sucht in der Kanzlei und zu Hause alles ab. Aber eine heiße Spur gibt es nicht. Dein Vater hat ein paar Firmen gegründet, fast alles Briefkästen. Brigitte hilft bei den Nachforschungen im Handelsregister. Aber das scheinen alles falsche Spuren zu sein. Eins ist aber klar: Das wurde schon seit vielen Jahren geplant.“
In diesem Moment rauschte Marlies herein und verkündete einen Gast. Hinter ihr schritt eine rothaarige Frau in die Bibliothek. Sie war uns allen bekannt: Brigitte Schneider. Aber sie wirkte anders. Offener. Nicht so verbissen. Ihre Züge waren weicher. Sie trug ein altmodisches Kleid mit Mieder und Rüschen. Sie wirkte insgesamt verträumter.
„Das ist Britta Schneider vom Bund der Schwestern des Lichts.“
Alex und mir fielen die Kinnladen herunter. Wir starrten die Frau mit großen Augen an. Sie bemerkte es und hob fragend eine Braue.
„Sie kommen mir bekannt vor“, überwand Alex als Erster die Verwirrung. „Kennen Sie eine Brigitte Schneider?“
„Oh, ja“, lachte sie. „Meine große Schwester. Wir sehen uns sehr ähnlich. Ist sie auch in eurem Team?“
„Äh, na ja“, stotterte ich. „Ich glaube nicht, dass sie das so sieht.“
„Sie ist meine Vorgesetzte“, entschuldigte sich Alex.
„Armer Kerl. Sie kann etwas anstrengend sein.“
Ich bot ihr einen Sessel an und sie nahm Platz. Marlies und Fox setzten sich ebenfalls. Wir alle starrten sie erwartungsvoll an.
„Euer Bund braucht Hilfe. Meine Schwestern waren anfangs sehr abgeneigt, euch diese zu geben. Wir haben eure Entschuldigung zwar vor Jahren akzeptiert, aber die Jahrhunderte der Verfolgung und Feindschaft konnte sie nicht durchbrechen. Viele meiner Schwestern hoffen insgeheim noch immer auf euren Untergang. Letztlich stimmten sie der Hilfe nur zu, weil der Feind unseres Feindes vielleicht auch mal ein Freund sein kann. Und ihr habt es hier mit einem recht potenten Feind zu tun, der die letzten Jahrzehnte im Verborgenen agierte. Die Morganas sind bekannt für ihre Heimtücke und schwarze Magie. Wo sie auftauchen, gibt es immer Tod und Verderben.“
„Morganas? Aber nicht Morgana, die Fee? Die Zauberin aus der Artus-Sage?“, fragte ich.
Sie sah mich zum ersten Mal richtig an. Ein tiefer Blick in meine Augen. Ich sah bei ihr eine Spur von Anerkennung, aber auch viel Spott. Sie wirkte verschmitzt, ihr Blick war eine Mischung aus Sarkasmus und Ironie. Wir blickten uns lange in die Augen. Es war fast wie ein Kräftemessen. Ein Taxieren. Wer war der Stärkere? Und noch wichtiger, konnten wir uns vertrauen?
Die Pause war lang. Fox räusperte sich. Sie löste den Blick und wir beide kamen abrupt wieder im Hier und Jetzt an.
„Ja, genau die. Um sie hat sich ein wahrer Kult entwickelt, da sie einfach verschwunden ist. Manche Schriften deuten darauf hin, dass sie Britannien verließ. Vielleicht auf das europäische Festland. Es könnte auch sein, dass sie hierher kam. Wir können euch nicht sagen, ob eure erste Hexe zu dem Kult gehörte. Was wir euch sagen können, ist, dass Madame Claire, wie sie sich nennt, früher eine von uns war, die immer weiter auf die dunkle Seite wechselte.“
„Das hört sich nach King Arthur ja fast wie Star Wars an. War sie ein Sith-Lord?“, spottete eine Stimme von der Tür. Brigitte Schneider. Sie musste dort schon eine Weile gestanden und zugehört haben. Die beiden Schwestern sahen sich lange an. Die Temperatur im Raum kühlte merklich ab.
„Hallo, ungläubige Schwester. Dich habe ich lange nicht mehr gesehen. Mama lässt grüßen.“
„Schwesterchen, hängst du immer noch an ihrer Zitze mit dem ganzen esoterischen Scheiß? Es wird Zeit, dass du dich von ihr löst und in der realen Welt ankommst.“
„Oh, deine Realität scheint gerade zu bröckeln. Hexen, Magie, Untote und zwei Schamanen mit ihren Geisttieren. Du gibst dich mit viel esoterischem Pack ab.“
„Das ist mir alles zu suspekt. Ich bin hier nur als behördliche Beobachterin. Ich werde das schon aufklären. Ganz ohne Magie!“
„Wurdest du nicht von ein paar Zombie-Kindern angegriffen?“
„Schwesterchen, ich habe keine Lust zu streiten. Ich wollte bloß Alex abholen. Komm, Alex. Wir haben vielleicht eine Spur.“
„Moment, Brigitte. Das können wir auch hier besprechen“, erwiderte Alex.
Sie sah ihn scharf an. „Sicherlich nicht.“ Er schüttelte den Kopf, nickte betreten in die Runde und folgte ihr.
Ich holte die beiden auf der Außentreppe ein.
„Alex, so geht das nicht. Schließt ihr uns aus?“
„Ausschließen?“, echauffierte sich Brigitte. „Wir sind die Polizei! Ihr seid doch nur ein paar Irre, die seit Tagen Leichen produzieren. Ehemalige Soldaten mit einer Belastungsstörung, die Amok laufen. Ich halte das alles hier nicht mehr aus! Meine Untergebenen arbeiten mit euch. Meine Chefs halten das für das Normalste der Welt. Aber für mich seid ihr Irre! Geister, Ahnen, Schamanen, Hexen in Weiß und Hexen in Schwarz. Hier stimmt doch alles nicht mehr!“
„Brigitte, bitte. Beruhig dich“, versuchte Alex sie zu besänftigen.
„Alex, halt die Fresse! Du gehörst doch auch schon mehr zu diesem bekackten Verein hier. Am liebsten würde ich dir eine reinhauen. Ich kann es nicht fassen, dass ich auf dich reingefallen bin.“
Sie rauschte ab ins Auto, schlug die Tür zu und brauste davon. Wir sahen ihr hinterher.
„Du hattest Sex mit ihr.“
„Scheiße, ja! Woher weißt du das?“
„Irgendwie reagiert jede Tussi von dir irgendwann so.“
„Arschloch.“
„Komm rein. Lass uns einen Single Malt trinken. Die taucht schon wieder auf.“
„Nee, lass mal. Kann ich einen von euren Wagen haben? Ich fahre besser hinterher. Das mit ihrer Schwester hat sie gerade richtig abgefuckt.“
„Klar. Du weißt doch, wo die Schlüssel sind.“
„Mike!“
„Ich habe deinen Blick gesehen. Bitte. Ich flehe dich an. Fang nichts mit ihrer Schwester an. Das wird sonst ein Desaster.“
Ich lachte, schüttelte den Kopf und ging wieder rein. Dieses Frauenzimmer hatte es mir echt angetan. Und jetzt, irgendwie, erst recht.
Fortsetzung folgt
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Die Moon-Chroniken
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