Ein hohes Surren war schon aus der Ferne zu hören. Es wurde lauter, je näher es kam, bis es schließlich direkt über uns war: das Summen der Quadrocopter-Drohnen.
In der Dämmerung sah ich die ersten beiden Schemen am Himmel. Aber auch die Wachposten vor dem Bunker hatten sie im Blick und eröffneten sofort das Feuer. Ein Kugelhagel prasselte auf unsere Drohnen nieder.
Die erste von ihnen, beladen mit Anti-Personen-Sprengstoff, manövrierte geschickt durch den Kugelhagel. Sie gewann schnell an Höhe, drehte direkt über dem Wachposten bei und warf die Ladung ab. Ich sah die Flasche fallen. Für einen Bruchteil einer Sekunde verschwand sie aus meiner Sicht, dann dröhnte eine Detonation. So unspektakulär, dass ich enttäuscht war. Ich hatte als Soldat schon viel heftigere erlebt.
Die zweite Drohne hatte weniger Glück. Sie sollte das Bunkertor sprengen, aber das Sperrfeuer war zu massiv. Sie trudelte, getroffen von einem Projektil, und verfehlte ihr Ziel komplett. Stattdessen schlug sie in das schon lädierte Dach des Bunkers ein und hinterließ bei ihrer deutlich imposanteren Explosion einen tiefen Krater im Beton.
Mein Funkgerät krächzte. „Scheiße, wir haben es verkackt. Kommen.“
„Nur halb, Boris“, meldete sich Alex. „So wie das aussieht, habt ihr beide Wachen vor dem Bunker erwischt. Ich seh da keine Bewegung. Kommen.“
„Das Tor haben wir nicht erwischt. Aber vielleicht können wir hier noch etwas zaubern. Kommen.“
„Wie schnell wird das sein? Kommen.“
„Ne halbe Stunde, mindestens! Kommen.“
„Das ist zu lange. Die haben mit ihrer restlichen Mannschaft alle Schießscharten besetzt und nehmen gerade Gabriel und mich unter Beschuss. Die haben Infrarot oder Thermal. Kommen.“
„Mike und ich gehen rein und versuchen, euch Zeit zu verschaffen. Kommen.“
„Fox, das ist Wahnsinn! Mike war schon einmal drin. Es war heftig. Das wird nicht noch mal klappen.“
„Mal sehen. Die zweite Drohne hat ein neues Loch ins Dach gestanzt. Wir gehen da rein. Irgendwie müssen wir das jetzt schaffen, sonst sind alle umsonst gestorben. Kommen.“
„Fox und ich gehen rein. Wir sind jetzt dark. Ende.“
Ich schaltete das Funkgerät aus. Fox nickte. „Wenn die wirklich Nachtsicht- oder Wärmebildbrillen haben, wird das schwierig.“
„Sehe ich auch so.“
„Let’s go!“, Fox hob die Faust. Ich schlug mit meiner dagegen, schulterte meine Gewehrtasche und seilte mich zum Bunkerdach ab. Als meine Füße den Boden berührten, öffnete ich die Tasche und nahm den Oneida in die Hand. Sechs Pfeile steckte ich in den Taschenköcher meiner Einsatzhose. Drei behielt ich in der Zughand, einen nockte ich in die Sehne und zog den Bogen aus. So deckte ich Fox’ Abstieg zum Dach.
Er klopfte mir auf die Schulter, ein Zeichen, dass er angekommen war und mich deckte. Langsam bewegte ich mich mit ausgezogenem Bogen vorwärts. Dank der Reduzierung des Zuggewichts durch das Compoundsystem konnte ich die gut 50 Pfund locker halten, da ich nur noch knapp zehn Pfund mit dem Daumen halten musste. Ich hielt mich an der Außenkante des Daches zum Wald hin und konnte so von der Kapelle und dem Innenhof des Bunkers nicht gesehen werden.
Ich erreichte den Krater, den die Explosion der zweiten Drohne hinterlassen hatte, und spähte in die Dunkelheit. Schwärze. Nichts. Keine Bewegung. Ich ging in die Hocke, schwenkte meinen Bogen in alle Richtungen. Fox holte auf, klopfte mir auf die Schulter. Ich sah ihn an und hielt ihn kurz zurück.
Der Wechsel zu meiner Geistersicht gelang mir immer besser und schneller. Ich blickte nach unten und scannte die Dunkelheit. Die Explosion hatte zwar einen Krater geschaffen, das Dach des Bunkers durchschlagen, doch die Öffnung war zu schmal. Vorsichtig inspizierte ich den Raum darunter. Es war ein Lagerraum mit Putzzeug und diversen Flüssigkeiten in Kanistern. Ich schaute genauer hin. Das Zeug war entflammbar.
Ich machte Fox ein Zeichen und er holte sein Feuerzeug heraus. Ich legte mich flach aufs Dach, zielte mit horizontal gehaltenem Bogen auf einen Kanister und ließ den Pfeil fliegen. Er durchschlug mehrere Kanister hintereinander, und aus den Löchern sickerte Flüssigkeit auf den Boden. Ich wiederholte das noch dreimal, bis alle Behälter durchlöchert waren und die Lache am Boden immer größer wurde. Ich sah, wie die Flüssigkeit unter der Tür hindurchfloss.
Wir würden so zwar nicht reinkommen, aber wir konnten die Gegner auf Trab halten. Fox entzündete ein Stück Stoff, das er sich aus der Hose gerissen hatte, und warf es durch das Loch im Dach. Der brennende Fetzen hatte noch nicht mal den Boden erreicht, da entzündeten sich schon die Gase in der Luft. Eine Stichflamme schoss nach oben. Wir waren beide so überrascht von der Heftigkeit, dass wir ein paar Meter von dem Feuer zurückwichen. Dann entzündete sich die Flüssigkeit am Boden und Flammen schossen durch den Flur.
Irgendwo im Inneren muss das Feuer auf weitere brennbare Gegenstände getroffen sein, denn es gab eine gewaltige Explosion. Feuer spuckte aus den oberen Schießscharten rechts und links unter dem Dach hervor, und wir hörten einen Menschen kreischen, der bei lebendigem Leib verbrannte. Der Boden unter unseren Füßen bebte, und der Krater der Drohnenexplosion fiel in sich zusammen.
Das Inferno endete so schnell, wie es begonnen hatte. Als wir in die Öffnung sahen, war uns klar, dass wir nun ganz einfach einsteigen konnten. Das Problem war, dass wir uns so angekündigt hatten. Ein Empfangskomitee war sicherlich schon auf dem Weg.
Nachdem wir ohne Probleme in den Bunker hinabgestiegen waren, trafen wir im Hauptgang auf eine verkohlte Leiche. Die würde uns nicht mehr ins Schwitzen bringen, also schlichen wir langsam zum Treppenhaus. Wir waren im obersten zweiten Stock und mussten weiter runter, um das Tor zu öffnen. Ich wechselte in meine Geistersicht. Auf unserer Etage war nichts zu sehen, im ersten Stock machten sich zwei und im Erdgeschoss drei Personen bemerkbar.
Die Vermutung lag nahe, dass uns im Stockwerk unter uns ein Hinterhalt gelegt wurde. Wenn wir dort hineintappten, würden wir von unten und der gleichen Ebene in die Zange genommen werden. Es war auch mit Antipersonenminen oder Sprengsätzen zu rechnen. Was wir konnten, konnte so ein SEK-Team schon lange!
Wir stiegen vorsichtig eine Treppenabsatz hinunter und spähten in den Durchgang zum ersten Stock. Fox sah den Stolperdraht fast sofort und zeigte ihn mir. Ich nahm zwei meiner Pfeile, schraubte die Jagdspitzen ab und ersetzte sie durch Gummiblunts. Ein Blunt ist eine flache Spitze, die bei Kleinwild einen tödlichen Schlag verursacht. Hier wollte ich versuchen, damit den Stolperdraht auszulösen. Bei meinen restlichen vier Pfeilen wechselte ich ebenfalls die Spitzen. Hier kamen jetzt die Bodkin-Kriegsspitzen drauf. Der Vorteil von Carbon- und Aluminiumpfeilen war das Innengewinde am Spitzenende, Insert genannt. Hier konnte man verschiedene Pfeilspitzen mit dem gleichen Gewinde aufschrauben. So konnte man relativ sicher mit normalen Feldspitzen trainieren, wie sie im Bogensport verwendet werden, um dann im Kampf oder der Jagd andere Spitzen aufzuschrauben.
Ich legte einen Pfeil mit der Blunt-Spitze in den Oneida ein. Die restlichen Pfeile hielt ich so in meiner Zughand, dass diese als Magazin dienten und ich schnell nachlegen konnte. Im Vollauszug konzentrierte ich mich auf mein Ziel. Beim intuitiven Bogenschießen nutzt man kein Visier. Beide Augen sind offen, und man konzentriert sich auf das Ziel. Das ist beim Training der zeitaufwendigste Weg, aber für den Schützen auch ein lohnender, wenn er nach viel Training schwierige Schüsse meistern kann.
Ich beruhigte meinen Atem, konzentrierte mich auf das Ziel. Als ich so weit war, löste ich den Daumen von der Sehne. Der Pfeil flog auf sein Ziel zu: eine dünne Schnur auf Bodennähe im Zugang zum ersten Stock.
Er flog vorbei. Fuck. Der Pfeil polterte durch den Hauptgang. Schnell legte ich den zweiten Pfeil nach und konzentrierte mich wieder auf die Schnur. Da hörte ich ein Geräusch aus dem Gang. Von links das leise Knallen von schallgedämpften Schüssen. Dann kam von rechts ein Schatten in mein Sichtfeld. Der Schütze drehte sich in Richtung Treppenhaus, richtete die Pistole nach unten. Als er erkannte, dass dort keine Bedrohung war, zielte er nach oben und sah mich.
Aber es war schon zu spät. Mein Pfeil war schon unterwegs, und ich ging hinter dem Treppenabsatz in Deckung. Dieser Pfeil saß! Trotzdem schlugen noch zwei Geschosse in den Absatz vor mir ein, und dann dröhnte eine laute Explosion durch das Treppenhaus. Kugellagerkugeln und Metallnägel schlugen um uns herum in die Wände ein, trafen uns aber nicht.
Aus dem Stockwerk unter uns rief ein Mann seinen Kameraden zu: „Schaltet die Wichser endlich aus. Draußen tut sich was. Ich kann hier nicht weg.“
Ich hörte das leise Knallen von entfernten Schüssen, und aus dem Erdgeschoss waren schnelle Schritte zu hören. Fox war schon auf den Beinen und flog im ersten Stock durch die Tür. Er ging dort in Deckung und feuerte mit seinen Colts nach unten auf Gegner, die ich nicht sah. Auch ich stürmte das Treppenhaus hinunter, durch die schützende Tür an Fox vorbei auf das Knallen der Schüsse zu.
Den Bogen mit einem weiteren Pfeil im Anschlag, erreichte ich das Schützennest. Der Gegner hatte mich kommen hören, drehte sich gerade von seinem Gewehr weg, griff an seine Hüfte, um die Pistole zu ziehen. Da traf ihn schon mein erster Pfeil. Die Kriegsspitze durchdrang die Schutzweste zwar, aber drang nicht tödlich in seinen Körper ein. Trotzdem war er von dem Aufschlag behindert und konnte nicht schnell genug auf mich anlegen. Da traf ihn mein zweiter Pfeil, wieder in die Weste. Ich bewegte mich im Raum zur Seite, so dass er mich nicht direkt ins Visier nehmen konnte, und trieb ihm zwei weitere Pfeile in die Weste. Inzwischen war er so schwer verletzt, dass er auf die Knie sank. Er wollte die Waffe wieder auf mich richten, aber ich war ihm schon so nah, dass ich seine Hand mit meinem Bogen wegschlug und ihmdie Jenny Wren tief in seinen Hals versenkte. Ich drehte das Blatt seitwärts in der Wunde, öffnete sie. Blut spritzte über meine Hand. Ich zuckte mit der Jenny nach rechts und trennte ihm den Kopf halb ab. Blut spritzte nach allen Seiten. Ich hielt den Gegner fest, bis alles Leben aus ihm gewichen war.
Ich lief zur Schießscharte und blickte hinaus. Dabei reckte ich meine Faust mit dem Daumen nach oben nach draußen. Dann sah ich etwas Unglaubliches: Ein kleines geländegängiges, ferngesteuertes Auto raste auf das Bunkertor zu. Auf der Fahrerkabine war ein länglicher Gegenstand befestigt, der mich sofort an einen Torpedo erinnerte. Ich zog den Kopf zurück, und schon detonierte das Kamikaze-Fahrzeug. Der Knall war ohrenbetäubend, die Detonation brachte den Bunker erneut zum Beben.
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