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Abstellgleis

Brigitte hat alles an sich gerissen. Das Team ist aus der polizeilichen Ermittlung raus und steht auf dem Abstellgleis. Werden Moon und Mike trotzdem weitermachen.

Als die beiden gegangen waren, breitete sich eine erdrückende Stille aus. Brigitte hatte uns buchstäblich aufs Abstellgleis geschoben. Wir waren nicht mal mehr die Reservebank. Von ihr aus waren wir aus dem Spiel. Und das unter der Drohung rechtlicher Schritte, wenn wir weitermachen würden. Dieser Rückschlag saß tief.

„Ich hab’s euch doch gesagt“, begann Britta. „Meine Schwester kann ganz schön arschig sein.“

„Ja. Danke für die Vorwarnung“, konterte Marlies.

Eigentlich hatten wir das alles kommen sehen. Trotzdem wollten wir die Behörden nicht im Unklaren lassen. Jetzt lief ihre Bewertung, ob ein Zugriff möglich war. Im Grunde ging es nur noch um meinen Vater. Alles könnte durch sein Verhalten eskalieren oder deeskalieren – ob er sich der Verhaftung fügte oder widersetzte. Diese Gedankenspiele hatten wir bereits im Vorfeld durchgespielt.

Die magische Komponente interessierte das LKA kaum. Uns allen war klar, dass wir Kathrin und Madame Claire stoppen mussten. So hatten wir die größte Zweiflerin mit Futter versorgt, um ihr Ding durchzuziehen. Alex war am Ende nur ein Bauernopfer. Er würde es verstehen, dafür kannte ich ihn gut genug.

Schon vorher war klar, dass ihm Brigittes Aktion missfiel. Auch wie sie die Vorgesetzte heraushängen ließ, ging ihm gewaltig gegen den Strich. Er würde seine Konsequenzen daraus ziehen, da war ich mir sicher. Und das würde Brigitte am Ende nicht gefallen. Ob ihr das auch klar war?

Unsere Dateien waren in der Cloud, und die Papiere von Gabriel hatten wir gescannt. Nun mussten wir das Gelände um den Bunker in Augenschein nehmen. Fox und ich waren dafür zuständig. Als wahre Männer der Wälder würden wir das Gebiet auskundschaften. Marlies und Britta würden unsere Informationen aufzeichnen und analysieren, sodass wir am Ende genug Daten hatten, um unbemerkt aufs Gelände zu kommen. Boris und mein Bruder Gabriel waren unsere bewaffnete Reserve, falls die Erkundung aus dem Ruder lief oder wir anderweitig Unterstützung benötigten.

Brigitte wollte sicherlich so schnell wie möglich Nägel mit Köpfen machen, also mussten auch wir sofort starten. Es gab keine weiteren Diskussionen oder Gespräche. Boris hatte genug Ausrüstung in seinem Wagen, um auch Gabriel zu versorgen. Marlies hielt in der Burg die Stellung und wartete auf unsere Informationen, die wir per Smartphone senden würden. Britta war zwar zur Unterstützung bei Marlies, aber ihr vorrangiger Auftrag war der Schutz der Gräfin. Sollte es am Bunker eskalieren, war ich mir nicht sicher, wie Kathrin reagieren würde. Sie hatte schon ihren Vater auf dem Gewissen. Hatte sie auch ihre Mutter im Visier?

Fox und ich saßen auf der Ladefläche des Pick-ups, der etwa zwei Kilometer vor dem Firmengelände auf einem Wanderparkplatz stand. Von dort würden wir uns gemeinsam dem Gelände nähern, es dann jeder für sich umrunden und beobachten.

„Keine Waffen“, sagte Fox. Ich nickte. Fiele auch nur ein Schuss, wären wir aufgeschmissen und entdeckt. Wir wollten auf jeden Fall vermeiden, dass der Feind wusste, dass wir überhaupt da waren. Fox schob sein Bowie-Messer in den Bund seiner Shorts. Sein nackter Oberkörper und sein Gesicht waren mit Lehm, Erde und Asche beschmiert. Er war eher traditionell in seiner Tarnung. Ich war das Gegenteil: Ich trug funktionelle Kleidung in Braun- und Grüntönen. Nur Gesicht und Hände waren wie bei Fox „dekoriert“. Vor der Brust hatte ich ein Chest-Pack von Helikon-Tex. Im „Numbat“ befand sich mein Smartphone im Offline-Modus als Kamera, dazu Notizblock und Bleistift, mein Lock-Picking-Set und ein Multitool von Leatherman. Mein neues Tracker-Messer war horizontal im Rücken am Gürtel befestigt. Beim Schleichen und Krabbeln am Boden war diese Trageweise am praktischsten. Ich hatte immer die Möglichkeit, an mein Messer zu kommen. Auch mein Tomahawk steckte im Gürtel. Ich hatte den Stiel des Chogan-Hammers um etwa zehn Zentimeter gekürzt, um das Hawk handlicher zu machen. Falls ich zusätzliche Tarnung brauchte, hatte ich noch einen Tarnponcho von Ghosthood in der Cargotasche meiner Hose. Das Material tarnte nicht nur visuell, es machte einen auch für Infrarot-Nachtsichtgeräte unsichtbar. Im Gegensatz zu den nackten Füßen von Fox trug ich Barfußschuhe. Diese besonderen Zehenschuhe von Vibram gaben mir sicheren Halt auf vielen Untergründen.

Wir verabschiedeten uns von Boris und Gabriel. Nach ein paar Schritten waren wir im Wald verschwunden. Doch bevor wir richtig losgingen, hielt Fox an, packte meinen Arm und deutete mir, mich hinzusetzen. Er hob eine kleine Grube in den Waldboden aus und entzündete ein Feuer. Dann öffnete er seine Ledertasche am Gürtel, entnahm etwas Salbei und entzündete es. Er verteilte den Rauch an seinem Körper und gab den glimmenden Salbei dann an mich weiter. Ich tat es ihm nach. Nach diesem Reinigungsritual löschte er das Feuer, verschloss die Grube und legte ein wenig Tabak auf die Stelle, als Opfergabe für die Ahnen.

Wir richteten uns wieder auf und gingen tiefer in den Wald. Bis kurz vor der Umzäunung, die wir laut Gabriels Unterlagen vermuteten, würden wir uns gemeinsam vorarbeiten. Ab da waren wir in der heißen Zone und würden jeder für sich den Bereich auskundschaften. Immer wieder wechselten wir uns ab: Ein paar Minuten führte Fox und ich bildete die Nachhut, dann tauschten wir. Unsere Sinne waren weit offen. Jede Bewegung und jedes Geräusch ließen uns innehalten, bis wir es identifiziert hatten. Fox und ich waren perfekt aufeinander eingespielt. Er hatte mir diese Art des „Scoutings“ in Amerika beigebracht, das wir nach unserer Genesung von unserem Afghanistan-Einsatz besucht hatten. Er war mein Lehrer und Mentor und führte mich in seinen Schamanismus ein. Diese Monate dort hatten mich nach Bernds Tod wieder ins Leben zurückgeholt. Wir hatten beide eine posttraumatische Belastungsstörung und heilten uns gegenseitig. Daher war das Band zwischen uns sehr schnell sehr fest geworden. Und daher lief auch die gemeinsame Scout-Tour heute Nacht sehr harmonisch.

Plötzlich gab mir Fox das Zeichen, sofort stehen zu bleiben. Keine Bewegung. Um nicht erkannt zu werden, ist es entscheidend, in eine Schockstarre zu verfallen. Das menschliche Auge und das vieler Tiere reagieren auf Bewegung. Wenn man sich farblich an die Umgebung anpasst, ist man unsichtbar. Sich schnell hinzuwerfen und dabei Krach zu machen, würde nur die Aufmerksamkeit des Gegners auf einen lenken.

Sofort gefror meine Bewegung. Unsere Sinne achteten auf alles. Mein Weitwinkelblick identifizierte jede Bewegung. Ich deckte nach hinten ab und musste Fox vertrauen, der den Weg vor uns im Blick hatte. Er deutete mir, mich langsam umzudrehen, und zeigte auf den Boden. Auf etwa zehn Zentimetern Höhe befand sich eine Schnur, die über den Pfad gespannt war. Ein Stolperdraht! Eine Alarmanlage? Oder etwas Schlimmeres?

Es entpuppte sich als Auslöser für eine Alarmanlage. Sie war erst vor wenigen Stunden angebracht worden. Das war seltsam. Solche Alarmgeber neigten oft zu Fehlalarmen im Wald, wenn Wildtiere in sie gerieten. Warum sollte man so etwas hier installieren? Mir kam der Gedanke, dass sie uns vielleicht erwartet hatten. Fox’ Blick sagte mir, dass er dasselbe dachte.

Wir überstiegen den Stolperdraht und erreichten nach wenigen Metern den äußeren Zaun. Er war massiv gebaut und oben nicht nur mit Stacheldraht, sondern mit extrem scharfem Spezialdraht gesichert. Ein Übersteigen war für uns unmöglich. Nun trennten wir uns, jeder ging vorsichtig in eine Richtung am Zaun entlang.

Ich erreichte schnell ein Tor. Es stand offen. Wachposten waren nicht zu sehen. Hinter dem Tor öffnete sich der Wald, und ich konnte Steinbaracken erkennen, die im Dunkeln lagen. Am anderen Ende des Geländes lag der eigentliche Bunker. Dort war alles hell erleuchtet. Ich konnte sehen, wie er sich an einen Felsen schmiegte. Wie auf der Karte des Wehrmachtssoldaten umschloss der Bunker mit dem Felsen die Kapelle, die im Zentrum lag. Der Soldat hatte sich auch in seinen Erinnerungen daran erinnert, dass der Felsen von Schächten durchzogen war. Mehr konnte er nicht erzählen, da er als einfacher Wachsoldat keinen Zutritt zum inneren Kreis um die Kapelle und den Felsen hatte.

Ich blieb in meiner Deckung und beobachtete die geschäftigen Arbeiten außerhalb des Bunkers. Wie gern wäre ich näher dran, um besser sehen zu können! Aber dorthin zu schleichen, war eine zu große Gefahr.

Da meldete sich Moon in meinem Kopf: „Nutz deinen Geisterblick!“

Kaum hatte sie dies gesagt, öffnete sich vor mir ein Geflecht aus Energielinien. Der Wald war hell erleuchtet. Jeder Baum strahlte in hellem Weiß. Darin bewegten sich immer wieder Punkte in derselben Farbe – die Tiere des Waldes. Die Baracken des Firmengeländes lagen im Dunkeln. Und der Bunker war von einer Wolke aus dunkler, roter Energie umgeben. Sie pulsierte. Gewann sie an Kraft? Die Walpurgisnacht war nicht mehr fern. Wie würde es hier aussehen, wenn die dunkle Macht ihren Höhepunkt erreicht hatte? Im Bunker liefen weitere weiße Punkte hin und her – Menschen. Aber es waren auch dunkle Punkte da, die sich bewegten.

Moon wies auf den Himmel, und ich sah einen Bussard weiß aufleuchten. Sie spornte mich an, mich auf ihn zu konzentrieren. Und auf einmal flog mein Geist auf den Vogel zu. Der Bussard lud mich ein, und ich konnte sehen und spüren, was er wahrnahm. Ich sah den Bunker und den Felsen von oben. Unten liefen die Menschen hin und her. Der Bussard schwebte um den Felsen, und ich entdeckte dort einen Pfad hinauf, den ich sicherlich schaffen würde. Auf dem Felsen lief ein Fuchs. Ich sah sein weißes Leuchten und griff danach. Ich wollte in den Geist des Fuchses eindringen, wie in den des Bussards. Aber der Fuchs wehrte mich ab, und mein Geist taumelte zurück in meinen Körper.

Ich landete auf allen Vieren und kotzte mir die Seele aus dem Leib. Fox stand neben mir.

„Was machst du?“, zischte er.

„Ich war in dem Bussard und bin über den Wald geflogen. Dann wollte ich in einen Fuchs wechseln, doch der wollte mich nicht bei sich haben.“

„Oh, ich wusste es! Du bist ein Beastmaster!“

„Was? Was ist ein Beastmaster?“

„Hatte ich dir vor einiger Zeit erzählt. Einer, der mit Tieren spricht. Oder in ihre Sinne wandert und wahrnimmt, was sie wahrnehmen.“

„Und warum wollte mich der Fuchs dann nicht, wenn ich ein Beastmaster bin?“

„Du stehst erst am Anfang. Alles braucht seine Zeit, auch du! Mit dem Bussard hast du durch Moon eine Verbindung. So habt ihr euch kennengelernt. Da war immer ein Bussard, der dich geleitet hat. Für den Fuchs warst du ein Fremder, ein Eindringling. Der hat dich abgewehrt. Du musst erst eine richtige Verbindung zum Wald und der Natur eingehen.“

„Ich dachte, das hätte ich.“

„Du hast ein zartes Band mit ihm geflochten. Aber daraus muss eine starke Verbindung werden. Das braucht Zeit. Es sieht auch so aus, als hätten wir diese vielleicht.“

„Warum?“

„Ich habe ein Gespräch aufgeschnappt. Die warten auf etwas. Was, weiß ich nicht. Aber wenn das da ist, dann soll das in der Walpurgisnacht über die Bühne gehen. Das sind noch ein paar Tage.“

„Und wenn die Polizei ihnen einen Strich durch die Rechnung macht?“

„Wir werden sehen. Auf jeden Fall sollten wir uns vorbereiten, hier eine längere Zeit zu verbringen.“

Die Spannung steigt!
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