Der Regen peitschte gegen das nasse Verdeck der Droschke, als sie in einer dunklen Gasse zum Halt kam. Peter öffnete die Tür einen Spalt und starrte in die schlammige Brühe unter dem Trittbrett.
„Fahr ’nen Meter vor, du Esel“, knurrte er den Kutscher an. „Ich hab nicht vor, baden zu gehen!“
„Ich steh, wo ich steh. Das macht drei Quarter.“ Die Stimme war rau und unbewegt.
„Dein Trinkgeld kannst du dir abschminken.“
Der Kutscher drehte ihm das Gesicht zu. Er schmatzte geräuschvoll auf seinem Kautabak herum und rotzte als einzige Antwort seinen braunen Speichel mit sattem Platschen in die Pfütze vor Peters Füßen.
Peter schüttelte den Kopf. Er verabscheute das Kap. Mit einem langen, entschlossenen Sprung aus der Droschke landete er im Matsch neben der Pfütze. Er warf dem Fahrer drei einzelne, klimpernde Münzen zu, die dieser geschickt aus der Luft fischte und im Mantel verschwinden ließ. Dann schnalzte er mit der Zunge und das Pferd zerrte die Droschke rumpelnd in die Dunkelheit.
Er stand allein in der schummrigen Gasse. Nur spärlich, fast flehend beleuchtet von einigen flackernden Gaslaternen. Hinter sich hörte er ein Geräusch. Es war nicht laut, aber in dieser Stille unüberhörbar. Mit einer fließenden, geübten Bewegung drehte er sich um. Sein Gehstock wanderte in die linke Hand. Die Rechte schnellte zur linken Achsel und umfasste den kühlen Griff des Revolvers im Schulterholster. Während er den rechten Arm ausstreckte, spannte er den Hahn der Waffe und nahm die Gestalt ins Visier, die aus der Dunkelheit trat.
„Kapitän!“
Die Gestalt entpuppte sich als sein Erster Maat, der beschwichtigend die leeren Hände hob. Peter entspannte sich, aber nur ein Wenig. Er senkte die Hand mit dem Revolver, steckte ihn aber nicht weg.
„Du hast nach mir geschickt. Kann ich nicht auch mal einen freien Abend verbringen, ohne dass meine Männer sich Ärger aufhalsen?“
„Es tut mir Leid, Sir. Es war ein Hinterhalt. Wir hatten keine Chance. Kommen Sie herein und sehen Sie selbst!“
Peter blickte an der schmutzigen Fassade der dunklen Kneipe hoch zum Schild, das sich langsam aus der Schwärze schälte, als er darauf zuschritt. „Zum geschlachteten Seebär“ stand darauf geschrieben, darunter prangte der bluttriefende Kadaver eines Bären. Ein böses Omen.
Er ließ seinen Maat vorausgehen und schritt langsam durch die Tür. Angespannt. Die Waffe in der Hand war eine Verlängerung seines Willens. Bereit, sie sofort wieder zu heben und zu schießen, wenn das hier aus dem Ruder lief.
Er schlug mit seinem Gehstock den dicken, muffigen Vorhang hinter der Türe zurück, der die zugige Kälte draußen halten sollte, und betrat den Schankraum.
Es war ein Schlachtfeld.
Seine Matrosen lagen tot in ihrem Blut, wie weggeworfene Lumpen überall im Raum verteilt.
„Was ist hier passiert?“ zischte der Kapitän seinem Maat zu, die Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
„Wir kamen herein und hatten gerade die erste Runde bestellt. Da flog die Tür auf und Soldaten der Handelsflotte kamen rein und haben ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet. Als ihre Waffen leer geschossen waren, sind sie direkt wieder abgehauen. Das Ergebnis sehen Sie hier.“
Peter schritt durch den Raum und sah sich die starren Gesichter der Männer an. Seiner Männer. Einige kannte er seit Jahren. Sie waren Vertraute, wenn nicht gar fast Freunde. Männer, auf die er sich blind hatte verlassen können.
Dann stockte er.
Da lag Jack. Das Hemd war von Blut getränkt, die blonde Mähne lugte unter dem Dreispitz hervor, der noch fast lässig auf seinem Kopf ruhte. Jack, der Schiffsjunge. Erst letztes Jahr hatte er ihn aus dem Waisenhaus geholt. Ihm auf dem Schiff eine Chance gegeben, die dieser sofort ergriffen hatte. Er war fleißig gewesen, hatte jeden Befehl, jede Bitte sofort erfüllt. Er hatte soviel Potenzial und war froh, aus einem elenden Leben als potenzieller Gassenjunge herauszukommen und nicht mit aufgeschlitzter Kehle in irgendeiner dunklen Ecke zu verrecken. Und jetzt lag er da, mit zwei Kugeln in der Brust.
Peters Hände krampften um den Gehstock und den Revolver. Tränen schossen ihm in die Augen. Er sah zu seinem Maat, der langsam im Blick verschwamm. Er atmete tief durch. Einmal. Zweimal. Fasste sich. Schüttelte den Kopf und ging auf die Theke zu.
Der Wirt schlich aus einer dunklen Ecke auf ihn zu und hielt ihm mit zitternder Hand einen Brief hin.
„Das haben die Soldaten für Sie da gelassen, Sir.“
Der Kapitän sah ihn lange an, die Augen glühten. Dann riss er ihm den Brief aus der Hand. Er besah sich das Siegel der Calyptischen Handelsflotte, brach es auf, entfaltete das Papier und las:
„Mein treuer Freund,
Ich denke, du hast meine Nachricht erhalten!
Gerne würde ich Dich heute am Lufthafen der Calypitischen Handelsflotte treffen. Du kannst mich nicht verfehlen, ich bin den ganzen Abend am Tor.
Trotzdem möchte ich Dich um Eile anhalten, denn Zeit ist Geld. Aber Du wirst ja förmlich brennen, mich endlich wieder zu sehen.
Dein Freund,
William“
Seine Kiefer mahlten vor glühender Wut. Er sah den Wirt an.
„Wusstest du, dass die Soldaten da waren?“
Der Wirt zögerte. Es war eine quälende Sekunde.
„Na los, ich will es wissen! Du kannst das hier nicht mehr schlimmer machen.“
„Ja, Sir.“
Peter nickte: „Gib mir ein Bier!“
Der Wirt war froh, endlich wieder etwas zu tun, und beeilte sich, dem Kapitän seinen Wunsch zu erfüllen. Als der kalte Metallkrug vor ihm stand, sah Peter in den bräunlichen Schaum. Dann hob er ihn an den Mund und trank einen tiefen, gierigen Zug. Er schmatzte und lächelte den Wirt an.
„Das ist wirklich ein gutes Bier! Hätte ich hier gar nicht erwartet.“
Der Wirt lächelte auch und sah den Kapitän erwartungsvoll an. Dieser hob den Arm mit dem Revolver. Die Brauen des Wirtes hoben sich vor blanker Überraschung.
Dann schoss Peter.
Ohne ein weiteres Wort jagte er ihm eine Kugel in den Kopf. Das Geschoss des 45er Kalibers ließ den Kopf des Wirtes förmlich explodieren. Blut verteilte sich in einem Sprühregen hinter der Theke. Der Körper des Wirts sackte lautlos auf den Boden.
Peter warf die leere Patrone aus der Trommel und lud sie direkt wieder neu. Wenn man eine Waffe zieht, muss sie auch Blut vergießen. Das hatte sein alter Lehrer ihm eingeschärft. Eine gezogene Waffe, die kein Blut vergießt, bringt Unglück.
In diesem Moment flog die Tür der Kneipe mit einem lauten Knall auf, und mehrere Matrosen mit Gewehren im Anschlag stürmten in den Schankraum. Aber er erkannte sofort seine eigenen Leute und winkte seinen Ersten Offizier zu sich.
„David, gut, dass du da bist. Du räumst hier auf. Sieh zu, dass unsere Männer ein gutes Begräbnis bekommen. Dann machst du die Seagull fertig zum Auslaufen. Ich glaube, hier ist bald die Kacke am Dampfen. Ich nehme mir fünf Mann deiner bewaffneten Truppe und besuche einen alten Freund. Wir sehen uns an Bord!“
Fortsetzung folgt
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