Geheimnisse

Und es geht weiter mit den Moon-Chroniken. Nachdem der Großteil der untoten Kinder vernichtet wurden, hat der Graf zum Abendessen eingeladen. Was für Geheimnisse werden noch auf den Tisch gebracht?

Der Graf und die Gräfin hatten geladen, und alle waren dem Ruf gefolgt. Ich war überrascht, als ich meinen Bruder Gabriel erblickte. Neben ihm saß Boris, gefolgt von Alex und seiner Begleitung Brigitte. Fox und ich nahmen an der Tafel Platz, und eine gespannte Stille legte sich über den Raum, die nur der Graf zu brechen wagte.

„Meine lieben Freunde, ich heiße Sie herzlich willkommen. Unsere heutige Runde ist um zwei Gesichter reicher. Frau Schneider, ich hoffe, Sie haben den Schock des Tages überwunden?“

Überrascht, so direkt angesprochen zu werden, räusperte sie sich. Eine leichte Röte huschte über ihr Gesicht, dann nickte sie wortlos. Auch Fox wurde noch mit einem Nicken bedacht. Eine seltsame Vorahnung ergriff mich, als der Graf zu mir schaute.

„Mike, es tut mir leid, dass ich dir so vieles verschwiegen habe. Ich hätte nie gedacht, dass die Dinge so schnell eskalieren würden. Ich habe dir von der ersten Hexe und meinem Vorfahren erzählt. Was ich dir aber verschwiegen habe, ist, dass daraus eine Art Geheimgesellschaft – oder ein Orden, wenn du so willst – entstanden ist.“

Ich starrte ihn ungläubig an. 

„Der erste Graf von Trausnitz wurde nach der ersten Hexe zu einem Hexenjäger und scharte Getreue um sich. Alexander, Boris, Gabriel und du, Mike, seid die Nachfahren dieser ersten Mitglieder.“ 

Ich war sprachlos. Das Essen wurde aufgetragen, doch der Graf sprach unbeeindruckt weiter.

„Jedes dieser Mitglieder hatte Aufgaben, die ihr alle bis heute erfüllt. Gabriel ist der Advokat, der Rechtsanwalt. Er hat die Aufgabe von eurem Vater übernommen. Boris ist der Waffenmeister und nutzt das Waffengeschäft seines Vaters. Alex ist der Vertreter des Gesetzes. Aber alle haben natürlich auch die Aufgabe, uns von Trausnitz im Kampf zu unterstützen.“

„Moment!“ grätschte ich in eine Redepause hinein. „Du willst mir sagen, dieser Geheimbund existiert noch immer? Auch jetzt?“

„Ja, seit dem Mittelalter wurde das Amt des Hexenjägers immer weitervererbt. Natürlich haben sich die Aufgaben verändert. Nach der dunklen Zeit der Hexenverbrennungen öffnete sich unser Bund der Aufklärung. Meine Vorfahren erkannten ihre Fehler, und im Laufe der Jahrhunderte haben wir uns mit vielen Hexenzirkeln versöhnt. Leider nicht mit allen. Die Aufgaben aber blieben. Wir wurden die Beschützer und Bewacher der Menschen vor bösen Mächten und ihren Handlangern.“

Ich sah in die Runde und fragte fassungslos: „Ihr wusstet das alle?“

Stille. Gabriel, Boris und Alex nickten nur leicht.

„Warum habt ihr nie etwas gesagt?“

Gabriel sah mich an, seine Stimme tief und voll Bedauern: „Unser Vater und du. Euer ewiger Konflikt. Er konnte den Tod unserer Mutter nie überwinden. Und du warst irgendwie immer ein Fremdkörper, der nicht wirklich in den Bund passte.“

„Gabriel, lassen Sie mich die Geschichte weitererzählen. Roland war mein Anwalt und sollte seine Aufgabe an seinen Sohn übergeben. Gabriel war auf einem guten Weg, bis du als Nachzügler geboren wurdest. Roland verlor seinen Halt, seine Liebe. Wir haben lange über dich diskutiert. Ich habe versucht, seine Einstellung zu dir zu ändern.“

„Wir haben es versucht“, schaltete sich die Gräfin ein. „Deine Mutter war meine beste Freundin. Es tat uns weh zu sehen, wie sich dein Vater dir gegenüber veränderte. Wir holten dich immer öfter zu uns, und du bist mit Bernd hier aufgewachsen. Doch an deinem zehnten Geburtstag eskalierte alles. Zum Glück hatte Gabriel Semesterferien und war zu Hause, als dein Vater sich an diesem dunklen Jahrestag in Wut und Alkohol verlor. Als du von uns Heim kamst, eskalierte die Situation. Er schlug dich, und hätte dich wahrscheinlich getötet. Aber Gabriel ging dazwischen und holte uns zur Unterstützung.“

„Nachdem dich Marlies ins Krankenhaus gebracht hatte, gerieten dein Vater und ich aneinander. Es kam zu einem ersten tiefen Bruch zwischen uns. Das Vertrauensverhältnis war so angeknackst, dass er sein Amt niederlegte, als Gabriel sein Examen machte.“

„Wir brachten deinen Vater dazu, sein Sorgerecht aufzugeben und so wurdest du von uns adoptiert. Wir haben es dir nie gesagt, du hättest immer wieder zu deinem Vater zurückkehren können. Doch dein Drang, ihm zu gefallen, war versiegt. Aufgrund dieser Lage schickten wir dich und Bernd in ein Internat und ihr wart im Grunde genommen nur in den Schulferien hier. So vollzog sich die Trennung von deinem Vater ganz automatisch.“

„Leider entwickelte sich unser Vater wohl mit der Zeit zu einem Widersacher für den Grafen. Er zog sich immer mehr zurück, als ich die Aufgaben übernahm. Im Grunde genommen hat er seine eigenen Geschäfte geregelt, die er sehr streng von meinen Aufgaben für den Grafen trennte. Natürlich unterstützte er mich, um dieses Amt richtig auszufüllen. Aber mit seinen Kunden hatte ich nur wenig bis gar nichts zu tun.“

Das Essen war inzwischen beendet und wir saßen zusammen im Arbeitszimmer. Brigitte Schneider schaltete sich nun auch in das Geschehen ein: „Dieser Geheimbund besteht also noch immer?“

„Ja“, bestätigte Alex.

„Aber dann bist du als Polizist befangen. Du kannst hier nicht nach Recht und Gesetz handeln!“

„Das ist kompliziert, aber unserer Führung ist der Bund bekannt und es gibt Schnittmengen.“

„Der Bund hat immer versucht, Polizei und den Staatsapparat zu unterstützen“, schaltete sich der Graf wieder ein. „Warum, glauben Sie, hat auch Ihr Chef bei der Verhaftung von Mike und Fox interveniert?“

Brigitte schwieg. Dann nickte sie langsam.

„Die einzige Zeit, in der das nicht der Fall war, war während der Macht der Nazis. Hitler war besessen von all den Dingen, die wir bekämpften. Und so versuchte er uns einzuspannen. Wir machten zum Schein mit, halfen aber vielen Gejagten, Deutschland zu verlassen. Deutschland war nach dem Ende des Weltkriegs praktisch magielos. All diejenigen, die Hitler immer haben wollte, waren weg. So wurde unser Bund eigentlich arbeitslos. Doch mit den Jahren kam das Böse langsam zurück. Meine Amtszeit, die wirklich kein Kampf mehr war, ging zu Ende. Ich sah, dass ich meinen Sohn auf den Kampf vorbereiten musste und so drängte ich ihn zur Bundeswehr. Ihr alle seid mitgegangen und ich dachte, da würde er das moderne Kämpfen lernen. Leider kam er nicht zurück!“

Hier versagte dem Grafen kurz die Stimme. Seine Frau legte eine Hand auf seine. Er atmete tief durch, um uns das letzte Kapitel zu erzählen.

„Nach Bernds Tod hätte Kathrin seine Aufgabe übernehmen müssen. Aber wir hatten sie auf solch eine Situation überhaupt nicht vorbereitet. Sie wurde in nichts eingewiesen und konnte ein Leben abseits der Aufgaben der von Trausnitz führen und glitt immer öfter selber in die dunklen Gefilde ab. Ihr Hang zur Dunkelheit wurde immer tiefer. Als Bernd starb und eure Beziehung in die Brüche ging, versuchte ich, sie auf ihre Aufgabe im Bund vorzubereiten. Aber ich scheiterte. Sie war schon zu weit auf ihrem dunklen Pfad, hatte Kontakte zu einem Hexenzierkel, mit dem wir uns nie haben aussöhnen können. Mir wurde klar, dass ich mein Erbe in die falschen Hände geben würde. Und auch wir zerstritten uns und sie verschwand.“

Mir drehte sich alles im Kopf. Das waren definitiv zu viele Informationen in einer so kurzen Zeit. Was war jetzt meine Aufgabe? War ich von der Reservebank, von der ich nicht wusste, dass ich auf ihr saß, auf einmal ins Spiel geschickt worden? Sollte ich Bernds Platz einnehmen? Gleichzeitig fühlte ich mich hintergangen. Mein Schicksal schien nicht in meinen eigenen Händen zu liegen, sondern hing von diesen Menschen im Raum ab. Vor allem der Graf und die Gräfin schienen ein seltsames Spiel zu spielen. Aber auch mein Bruder und die zwei, die ich als Freunde betrachtet hatte, waren Teil davon. Einzig Fox und Brigitte Schneider waren Außenstehende. Letztere kannte ich nicht wirklich und Fox war in den letzten Jahren mein Mentor und Freund geworden.

Ich blickte ihn verwirrt an. Er deutete meinen Blick richtig und entschuldigte uns beide. Wortlos verließen wir den Raum und begaben uns in die kühle Dunkelheit des Abends.

„Das war ein Hammer“, sagte er. „Wie fühlst du dich?“

„Hin und hergerissen. Einerseits Wut über all die Geheimnisse. Aber auch Angst, dass ich einen Platz einnehmen muss, der nicht meiner ist und dann das Versprechen, das ich vor Kurzem unserem toten Waffenbruder geben musste. Die Sache mit Kathrin. Hätte ich sie halten können? Wäre sie dann vielleicht nicht abgedriftet? Das alles ist mir gerade zu heftig.“

Fox nickte und blickte in die Dunkelheit. „Unsere Geister verlangen einiges von uns ab. Das weißt du! Ich kann dir hier keinen Rat geben. Du musst in dich hineinhören. Setz dich hin. Meditiere. Reise und hör darauf, was deine Ahnen und dein Totem dir raten.“

Das tat ich. Obwohl ich extrem aufgewühlt war, konnte ich die Konzentration aufbringen, um zu reisen. Nach ein paar Atemzügen saß ich wieder in der Schwitzhütte, gegenüber der Alten und Moon. Wir sprachen nicht. Sie sahen mich nur an und nickten. Ich wusste sofort: Das war der Weg, auf den sie mich vorbereitet hatten. Das war die Aufgabe, die vor mir lag.

Plötzlich sah mich Moon eindringlich an und ich spürte sofort die Gefahr, auf die sie mich aufmerksam machen wollte. Ich war sofort wieder klar. Im Hier und Jetzt. Ich sprang auf und machte Fox ein Zeichen. Der reagierte sofort, zog einen seiner Colts, und wir stürmten zurück ins Haus.

Fortsetzung folgt …
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