Die Stille drückte schwer auf den Wald. Von der Polizei gab es kein Lebenszeichen. Alex meldete sich zwar regelmäßig, seine frustrierten Berichte aber lieferten keine neuen Informationen. Der geplante SEK-Einsatz zur Verhaftung meines Vaters steckte in einer zähen Sackgasse. Offenbar zog Brigitte die Fäden, blockierte die Operation und bestand auf immer neuen, unnötigen Planungen.
Fox und ich blieben tief im Wald. Boris und Gabriel waren unsere Verbindung zur Außenwelt und zu Marlies und Britta, die fieberhaft versuchten, mehr über das Ritual zum Erwecken der Hexe herauszufinden. Gleichzeitig fungierten die beiden als unsere Reserveeinheit, die uns mit allem Notwendigen versorgte. Als schwer bewaffnete Verstärkung bildeten sie unser einziges Backup. Wir waren zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen, und die Sorge, wie wir diese Übermacht im Bunker überwältigen sollten, nagte an mir.
Doch Fox hatte eine andere Idee: psychologische Kriegsführung. Wir platzierten Windspiele und -pfeifen rund um den Zaun, die in der Dunkelheit unheimliche Geräusche erzeugten. Schon in unserer ersten Nacht schufen sie eine Geräuschkulisse, die die Wachen nervös machte und an ihren Nerven zerrte.
Wir lebten im Einklang mit dem Wald, und ich passte mich Fox immer mehr an. Bald streiften wir nur noch in Shorts und verdreckten T-Shirts durch die Bäume, wurden selbst ein Teil dieses Ortes. Ich sog die Lehren von Fox auf. Die Guerilla-Methoden, die er mir zeigte, waren weitaus intensiver als das, was ich in den USA gelernt hatte. Dort sollte nur mein Scout-Mind geschärft werden. Hier, in einem echten Konflikt, mussten wir einen übermächtigen Gegner zermürben.
Gleichzeitig vertiefte ich meine Verbindung zum Wald. In jeder freien Minute wechselte ich auf die „andere Seite“. Moon zeigte mir, wie ich mich besser mit der Umgebung verbinden konnte, und meine Geistsicht wurde mit jedem Mal stärker. Ich traf neue Tiere, die mich erst einmal beschnuppern mussten, sowohl in der realen als auch auf der Kraft-Ebene. So konnte ich immer mehr Kontakte knüpfen, und die Tiere luden mich ein, sie zu begleiten.
Auf diese Weise entdeckte ich viele geheime Plätze und Wege rund um den Bunker. Der Weg auf die Spitze des Felsens, den ich bei meinem ersten Überflug entdeckt hatte, erwies sich als Glücksgriff. Von dort hatten wir freie Sicht auf die Kapelle, die auf dem Plateau zwischen Bunker und Fels lag. Auch unserem Gegner war klar, dass der Fels die Hintertür zum Bunker war. Dementsprechend hatten sie sich gut vorbereitet. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Sniper-Nest. Meine Geistsicht zeigte mir dort vier Personen – wahrscheinlich zwei Scharfschützen und zwei Spotter, die den Felsen und den Platz vor dem Bunker überwachten.
Ihre Stellung war gut ausgebaut. Offenbar wurde sie nicht getarnt, sondern sollte als Abschreckung dienen. Oder war sie so gut, dass sie Angriffe von beiden Seiten abwehren konnte? Sie wurde über eine Bodenluke vom Bunker aus betrieben, wahrscheinlich ein rollierendes System. Aber selbst das würde die Wachmannschaft an ihre Grenzen bringen. Es gab zehn Bewaffnete, meinen Vater, Kathrin und Madame Claire. Die beiden Mädchen aus Wuppertal spürte ich nicht. Vielleicht war das Sniper-Nest nicht ständig besetzt. War das unsere Chance zur Infiltration?
Ich machte es mir dort oben in einem alten Ahornbaum gemütlich. Etwa fünf Meter über dem Boden teilten sich seine starken Äste und boten mir Schutz und Schatten. So oft es ging, saß ich dort und beobachtete den Bunker und das Sniper-Nest. Hier verbrachte ich meine Ruhephasen, schlief oder meditierte. Ich wurde vollends eins mit dem Wald. Um mich herum hatte ich meine Waffen versteckt: Den Reiterbogen mit etwa 20 Pfeilen in Reichweite. Mein Tracker-Messer trug ich quer am Gürtel. Daneben steckte mein CRKT Chogan Tomahawk. Auch ein paar Energieriegel und etwas Trockenfleisch, die unser Unterstützungsteam für uns bereithielt, hatte ich dabei. Ohne Handyempfang waren unsere Smartphones nutzlos. Wir hielten Verbindung mit Gabriel und Boris über tägliche Treffen, um nicht auf Funkgeräte angewiesen zu sein.
Dieses Zeitfenster, das jeden Tag zu einer anderen Uhrzeit stattfand, war die einzige Gelegenheit, die ich mit Fox verbrachte. Er zeigte mir neue Techniken oder fragte nach meinen Fortschritten. Auch sprachen wir über unser weiteres Vorgehen. Sobald wir uns trennten, agierten wir allein. Oft verständigten wir uns über Tierrufe und krochen durch den Wald, als wären wir ein Teil von ihm. Für mich war es erstaunlich, wie schnell ich mich an diese Lebensweise gewöhnte. Dieses tiefe Gefühl der Verbundenheit hatte ich nur kurz vor dem Ende meines Aufenthalts in den USA gespürt. Zurück in Deutschland war es verschwunden, auch auf meinem Survival-Gelände. Doch hier war es wieder voll da!
Nach unserer ersten Erkundungsnacht kehrten wir am nächsten Tag zurück, um das Alarmsystem zu kontrollieren, das wir entdeckt hatten. Es war immer noch da und aktiv. In der Nähe der Stolperdrähte gruben wir kleine Gruben aus und spickten sie mit spitzen Ästen. Dann tarnten wir sie und warteten auf die Dämmerung. Als wir die Drähte an verschiedenen Stellen im Wald auslösten, ertönte sofort ein Alarm aus dem Bunker, und zwei Zwei-Mann-Teams machten sich auf den Weg. Ich sah, wie mein Team an mir vorbeilief. Sie blieben stehen, kontrollierten den Draht, während einer sicherte. Ich hörte ein leises Krachen und einen Schmerzensschrei. Der Mann, der sicherte, wirbelte herum, um seinem Kameraden zu helfen. Das war meine Chance. Ich schlich mich von hinten an und versenkte die Schneide meines Tomahawks tief in seinen Hinterkopf. Er war tot, noch bevor er den Boden berührte.
Von der anderen Seite des Waldes hörte ich einen weiteren Schmerzensschrei. Dort war Fox in seinem Element. Ich durchsuchte den Toten. Er trug SS-Abzeichen und ein Hakenkreuz am Arm. Mir wurde übel. So ein Wichser! Der Verletzte war genauso ausgestattet. Beim Sturz hatte er seine MP-40 verloren. Als er mich sah, versuchte er, seine Luger aus dem Holster zu ziehen. Ich trat auf seine Hand und stampfte mit dem anderen Fuß auf seine Eier. Er schrie auf.
Jetzt kam der schlimmste Teil. Ich hatte lange überlegt, ob ich dazu fähig war. Fox hatte mir angeboten, mich da rauszulassen. Aber dann dachte ich an die toten Kinder. Die Wut brodelte in mir. Ich nahm mein Messer und trieb es ihm tief in den Bauch. Er schrie erneut. Ich schlug ihm mehrmals mit der Faust ins Gesicht, bis er still war. Mit dem Tracker-Messer öffnete ich seine Bauchhöhle. Er heulte. Danach befreite ich seinen Fuß. Ich trat ihn fest in die Seite. „Hau ab“, schrie ich ihn an. Er wimmerte und blieb liegen. Ich trat wieder zu. Weil er sich nicht bewegte, flüsterte ich ihm ins Ohr, dass ich ihn jetzt und hier zerlegen würde, wenn er sich nicht sofort in Bewegung setzte. Er blieb. Ich zückte mein Messer. Mit einem wilden Schnitt skalpierte ich ihn. Wieder schrie er, doch endlich setzte er sich langsam in Bewegung.
Er schaffte es bis zum Zaun, wo er liegen blieb und um Hilfe schrie. Sein Kamerad auf der anderen Seite des Waldes tat es ihm gleich. Das ging eine halbe Stunde so, bis es in ein Wimmern überging und dann nichts mehr zu hören war. Hilfe aus dem Bunker gab es keine.
Danach wagten sich die restlichen Wachen nicht mehr aus dem Bunker heraus. Auch ihre vier Toten holten sie nicht ab. Die anderen beiden Leichen nahmen wir uns vor, weideten sie aus und stellten sie am Zaun zur Schau. Von drinnen gab es keine Reaktion.
Die Kapitel der Moon-Chroniken sind vergänglich – nach 4 Wochen verschwinden sie wieder im Schatten.
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Was davor geschah:
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