Fox erwartete mich am Fuße des Felsens. Er klopfte mir anerkennend auf die Schulter. „Das war Wahnsinn, Mike. Du bist echt ein Berserker. Ich hab’s damals in Afghanistan kaum geglaubt, wenn ich nicht dabei gewesen wäre. Und jetzt hast du’s wieder bewiesen!“
„Wenn du meinst. Aber ich spüre Schmerz, nicht den Rausch alter Sagen.“
„Trotzdem glaub ich, die Götter sehen dich. Schenken dir Gaben. Sie haben Großes mit dir vor.“
„Fox, red keinen Scheiß. Lass uns lieber um unsere Probleme im Hier und Jetzt kümmern. Die Götter müssen warten.“
„Die Götter sind hier, Mike. Sie sind hier!“
„Ja, ja. Lass uns zu den anderen gehen. Hier kommen wir gerade nicht weiter. Die haben sich im Bunker verrammelt, und wir brauchen eine Pause und neue Waffen.“
„Da hast du recht. Gehen wir.“
Wir erreichten meinen Bruder und Boris am vereinbarten Treffpunkt. Ich setzte sie schnell ins Bild. Als ich die neuen Waffen erwähnte, fragte Boris direkt, was wir brauchen würden. Ich nannte ihm die Liste, und er zückte sein Handy. Ein kurzer Anruf bei einem Mitarbeiter in seinem Geschäft genügte, um uns in den nächsten zwei Stunden Nachschub zu sichern. Der Typ sei ein Experte für alles, was keine Schusswaffen waren: Messer, Bögen und das ganze Drumherum.
Wieder klingelte sein Handy. Es war Alex. Boris stellte auf Lautsprecher.
„Das SEK ist endlich da. Sie sind schon auf dem Weg zum Bunker. Brigitte und ich fahren jetzt auch los.“
„Warum hat das so lange gedauert?“, wollte mein Bruder wissen. „Bei Gefahr im Verzug seid ihr doch viel schneller.“
„Ja, stimmt. Aber Brigitte wollte eine Spezialeinheit, der sie vertraut. Die saßen wohl bei einer anderen Sache fest.“
„Das ist ungewöhnlich.“
„Stimmt, aber sie ist hier die Chefin, und der Leiter hat volles Vertrauen in sie. Ich war überstimmt. Sie wollen alles super sauber und fehlerfrei machen. Euer Vater ist hier einigen Leuten schon als Anwalt auf die Füße getreten. Die wollen nicht wieder von ihm fertiggemacht werden.“ Alex lachte.
„Ah, da kommt Brigitte. Hey Brigitte, ich telefoniere gerade mit den Jungs. Die warten schon auf dein SEK… Was ist los? Warum hast du die Waffe, Brigitte?“
Seine Stimme wurde lauter. Dann hörten wir Geräusche eines Handgemenges. Ein dumpfer Schlag. Die Leitung war tot.
Wir sahen uns verdutzt an.
„Scheiße, da läuft was schief“, murmelte Gabriel.
Fox blickte mich an. „Wenn Brigitte falsch spielt, bin ich mir beim SEK auch nicht mehr sicher.“
Ich nickte. „Wir müssen hier weg und uns woanders neu formieren.“
Alle stimmten zu. Boris und Gabriel rasten mit dem Wagen davon. Fox und ich sahen ihnen nach, drehten uns dann um und liefen in den Wald. Wir fanden einen guten Platz, von dem aus wir den Bereich vor dem Bunker überblicken konnten. Dort warteten wir.
Nach etwa einer halben Stunde hörten wir ein lautes Motorengeräusch. Ein Polizeipanzer kam die Zufahrtsstraße heruntergerollt. Er hielt vor dem Tor und positionierte sich parallel dazu. Das Tor öffnete sich sofort. Madame Claire und mein Vater traten vorsichtig heraus, gefolgt von Kathrin. Die restlichen Security-Kräfte sicherten nach links und rechts, die AR15-Gewehre im Anschlag.
Der Panzer öffnete sich, und sechs Männer in Kampfanzügen stiegen aus. Auch sie hatten Sturmgewehre in den Händen. Der Anführer trat auf meinen Vater zu und hob den rechten Arm. Mein Vater tat es ihm gleich. Obwohl ich es nicht hören konnte, wusste ich, dass beide „Heil Hitler“ sagten.
Ich scannte den Himmel. Mit meiner Geistersicht bemerkte ich eine Eule in einem Baum nahe des Bunkertors. Die Eule lud mich ein, und ich fuhr mit meinem Geist in sie hinein. Ich sah die Truppe vor dem Tor gestochen scharf und hörte jedes Wort.
„Unser Rückzugsort ist vorbereitet und gesichert“, sagte der SEK-Zugführer. „Und wir haben gefunden, was du wolltest.“ Er winkte zwei seiner Leute, die einen Leichensack in den Bunker trugen.
Madame Claire kam herbei und fragte meinen Vater, was das solle. Er erwiderte ihr schneidend, dass sie in der Walpurgisnacht nicht nur ihre Hexenmutter erwecken solle, sondern auch Heinrich Himmler. Seine Überreste seien in der Lüneburger Heide gefunden worden. Die Hexe war darüber entsetzt, aber mein Vater ließ keinen Widerspruch gelten. Schließlich hatten er und seine Getreuen schon viel Blut für die Sache vergossen. Nun müsse die Hexe Wort halten.
Aus der Ferne näherte sich ein weiteres Fahrzeug. Ein schwarzer BMW hielt vor dem Panzer. Brigitte stieg aus.
„Hast du deinen Kollegen endlich erledigt?“, fragte der Zugführer.
„Ich habe ihn im Dezernat niedergeschlagen“, entgegnete sie. „Töten ging nicht. Sie hätten mich direkt verhaftet.“
„Du feige Fotze. Ich habe es satt mit dir!“ Er trat vor und hielt ihr die Mündung seiner Pistole an die Stirn.
„Ich habe aber etwas anderes! Sieh in den Wagen.“
Der Zugführer winkte einem seiner Leute. Dieser öffnete den Kofferraum. Mit seiner Hilfe kletterten Marlies und Britta heraus. Sie sahen mitgenommen aus. Britta hatte eine Platzwunde am Kopf, das Blut war auf ihrer Stirn vertrocknet. Marlies war wackelig auf den Beinen. Der Schock der Entführung saß tief.
„Oh! Meine Mama“, jubelte Kathrin und flog mit weit aufgerissenen Armen auf ihre Mutter zu. Marlies versteifte sich bei der Umarmung. Dann trat sie einen Schritt zurück und lächelte Kathrin böse an. Marlies‘ Augen funkelten vor Zorn. Ihre Hände schnellten auf Brusthöhe ihrer Tochter. Plötzlich schimmerte Metall in beiden Händen. Ein doppelter Schuss zerriss die Luft.
Bang – Bang.
Marlies krümmte die Daumen, spannte die Hähne der Derringer erneut und drückte ab.
Bang – Bang.
Alle vier Kugeln trafen Kathrin in die Brust. Sie schaute ungläubig auf die Wunden, lächelte aber. „Du weißt doch, dass ich eine Werbestie bin. Du kannst mich mit ein paar Kugeln nicht aufhalten!“
Marlies lächelte böse zurück. „Das weiß ich. Aber diese Kugeln sind mit Quecksilber gefüllt. Das wird wehtun, Tochter.“
Kathrins Augen weiteten sich. Ihr brach der Schweiß aus, und sie krümmte sich. Spastische Zuckungen durchliefen ihren Körper. Ein krächzendes Stöhnen entfuhr ihren Lippen. Ihre Adern am Hals und an den Armen verfärbten sich dunkel. Sie fing an zu schreien, fiel zu Boden, zuckte weiter und streckte eine Hand zu ihrer Mutter aus. Ein Flehen lag in ihrem Blick, eine letzte Frage.
„Das ist für deinen Vater“, sagte Marlies. „Wir sind jetzt quitt.“
Die Hand fiel leblos zu Boden. Kathrins Blick brach.
Ich wechselte in die Geistersicht. Die rot-schwarzen Nebel und Bänder um sie lösten sich auf. Ein Licht trat aus ihr hervor und schwebte über allem. Kathrins Seele wollte wohl sehen, wie es weiterging.
Der Zugführer nahm die Waffe von Brigittes Stirn und richtete sie auf Marlies. Mein Vater wollte dazwischen treten. „Wir brauchen sie vielleicht noch.“
Der Zugführer nickte. „Vielleicht.“ Er drückte ab. Das Projektil ließ Marlies’ Kopf förmlich platzen. Blut spritzte in alle Richtungen. Sie war tot, bevor sie auf den Körper ihrer Tochter fiel.
Der Schock katapultierte mich in die Wirklichkeit zurück. Ich verließ den Körper der Eule und war wieder in meinem eigenen. Ich atmete heftig. Die Panik ergriff mich. Ich wusste im ersten Moment nicht, wo ich war. Fox schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich erstarrte, atmete langsam und fand zu mir zurück. Ich beruhigte mich.
Fox hatte schon einiges aus der Ferne beobachtet. Ich brachte ihn auf den neuesten Stand, und er schauderte, als ich von Himmlers Überresten erzählte.
„Die wollen tatsächlich zwei böse Seelen in der Walpurgisnacht wiederbeleben. Ich fasse es nicht!“
„Das kannst du laut sagen.“
„Ich spüre, wie es im Bunker immer stärker und dunkler wird. Wenn sich diese Nacht etwas Böses entlädt, wird es für jedes Lebewesen dort extrem. Ich spüre die Angst des Waldes, von jedem Tier in der Nähe.“
„Ja. Sogar die Eule, deren Gast ich war, konnte ihre Angst nicht ganz verbergen. Wir müssen diese Wichser aufhalten. So schnell wie möglich. Wenn wir bis zur Nacht warten, könnte die dunkle Macht zu groß für uns werden.“
„Das wissen die auch. Sie werden uns erwarten. Und die Neuankömmlinge sind aus einem ganz anderen Holz geschnitzt als die paar Neonazis und Security-Leute.“
„Wenigstens ist die Bestie aus dem Spiel.“
„Sei dir da nicht so sicher. Kathrin ist tot, das ist gut. Aber ihre Meisterin hat sicher noch einiges in petto. Und wahrscheinlich kann auch sie sich in eine Bestie verwandeln.“
„Mal den Teufel nicht an die Wand. Komm, wir gehen zurück zu den anderen. Wir brauchen einen Schlachtplan.“
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