Damit begann die Belagerung. Endlich konnten wir zum ersten Mal richtig zurückschlagen. Es war ein unglaublich gutes Gefühl! Bisher hatten wir nur Prügel einstecken müssen, waren stets die Gejagten gewesen. Der Tod von Bertold saß mir noch tief in den Knochen, und die schockierenden Wahrheiten über mich selbst hatte ich kaum verarbeiten können.
Doch hier, im Schutz des Waldes, beruhigte sich mein Gedankenkarussell. Als Scout genoss ich die Stille und den Frieden, trotz der dunklen Gefahr, die im Bunker lauerte. Hier fühlte ich mich wirklich zu Hause.
Bei unserem nächsten Treffen mit meinem Bruder und Boris besprachen wir die nächsten Schritte. Wir beschlossen, ihnen den Strom abzuschneiden. Zwar würden sie einen Notstromgenerator haben, aber wir wollten ihnen keine Ruhe gönnen. Sie hatten vier Männer verloren, ein herber Schlag. Wir mussten den Druck erhöhen und sie weiter zermürben, bis sich eine Chance für einen echten Angriff oder eine Infiltration ergab.
Mit den erbeuteten Handgranaten sollte Boris in der Nacht die nächstgelegene Trafostation zerstören. Fox und ich würden das Gelände weiter beobachten und nach Schwachstellen suchen. Gabriel sollte mit einer weiteren Granate die Oberlandleitung kappen, die auf langen Holzpfählen in den Wald führte.
Nach unserer Trennung lief ich im Zwielicht einen kaum sichtbaren Wildpfad den Felsen hinauf. Es war eine Entdeckung, die uns einen entscheidenden Vorteil verschaffte: einen Blick von oben in den Bunker hinein, ohne mich zu gefährden. Schnell hatte ich einen Baum gefunden, der mich tarnte und mir einen ungehinderten Blick auf unsere Feinde ermöglichte.
Auf dem Dach des Bunkers hatten sie ein massives Scharfschützennest errichtet. Sandsäcke und Tarnnetze machten es doch aus der Ferne sehr gut sichtbar. Doch meine Geistersicht zeigte mir zeitweise vier Menschen dort oben: jeweils ein Scharfschütze und ein Beobachter für jede Seite, aus der Gefahr drohen konnte – zum Vorplatz des Eingangs und zu mir, zum Felsen hin.
Ein Nest mit vier Mann zu besetzen, war für die dezimierte Truppe sicher ein Kraftakt. Die Hexen und mein Vater waren kaum in der Lage, auszuhelfen, und ich fragte mich, ob die Krämer-Jungs überhaupt die nötigen Fähigkeiten für solch eine Aufgabe besaßen. Sie waren die Typen fürs Grobe, nicht für ballistische Berechnungen bei Wind. Wahrscheinlich rotierten die vier im Nest, während zwei Wache hielten und die anderen schliefen oder sich im Bunker versorgten. Die Frage war: Was würde passieren, wenn der Strom ausfiel?
Um zwei Uhr nachts war es endlich so weit. Aus der Ferne hörte ich einen Knall, dann fiel das Licht aus. Kurz darauf folgte ein weiterer, diesmal näherer Knall. Mit meiner Geistersicht sah ich, wie Panik im Nest ausbrach. Alle vier Männer waren hellwach und erwarteten einen Angriff. Auch im Bunker herrschte hektisches Treiben. Nach etwa einer Viertelstunde hörte ich Rufe vom Plateau zwischen Bunker und Kapelle. Endlich knatterte ein benzinbetriebenes Aggregat los, und im Bunker wurde das Licht wieder eingeschaltet. Die riesigen Scheinwerfer, die den Vorplatz beleuchteten, gingen ebenfalls an. Im Lichtschein konnte ich das Scharfschützennest nun genau inspizieren.
Neben den vier nervösen Männern fiel mir ein Kabelgewirr auf, das zu einem der Balken führte, die das Tarnnetz stützten. Dort spiegelte eine Glaslinse – eine 360°-Dome-Kamera. Die hatten wir nicht auf dem Schirm. Das bedeutete, irgendwo im Bunker musste es eine Überwachungszentrale geben, die rund um die Uhr besetzt war. Dafür hatten sie garantiert nicht genug Personal.
Es waren noch ein paar Tage bis zur Walpurgisnacht. Wenn wir sie weiter auf Trab hielten, würde ihr Personalmanagement an seine Grenzen stoßen. Ihre Aufmerksamkeit würde nachlassen, was uns Möglichkeiten für einen Angriff eröffnen würde.
Als der erwartete Angriff ausblieb, kehrte langsam wieder Ruhe ein. Der Generator knatterte, aber der Energieverbrauch wurde gedrosselt. Die Scheinwerfer gingen bis auf einen aus. Am Morgen kletterten alle vier Männer aus dem Nest hinunter in den Bunker. Die Beobachtung hatte die Kamera übernommen.
Zwei Stunden später tauchte Fox bei mir auf. „Denen haben wir ganz schön Angst eingejagt. Sie haben die Pforten geschlossen und bleiben wohl erstmal drinnen.“
„Ja, sie ruhen sich aus.“
„Wir könnten uns aufs Gelände schleichen und Chaos anrichten!“
„Nein. Schau mal dort – Kameras. Die sind sicher auch auf dem Gelände.“
„Verdammt. Diese Dome-Kameras sind extrem robust. Aus der Ferne bekommen wir die nicht kaputt.“
„Aber wir könnten sie für uns nutzen. Ich schlage vor, wir provozieren eine Reaktion. Wie lange brauchen sie, um auf uns zu reagieren? Das hilft uns, sie weiter auf Trab zu halten. Sie sind unterbesetzt. Die Frage ist auch, ob sie irgendwo eine Reserve haben.“
„Gute Idee. Können deine Fähigkeiten mit den Tieren uns helfen?“
„Sicherlich. Ich versuche mal etwas.“
Ich streckte meine Sinne aus. Mit der Geistersicht identifizierte ich einen Waschbären in der Nähe. Ich klopfte bei ihm an, und er ließ mich ein. Ich lenkte ihn langsam über das Dach des Bunkers zum Scharfschützennest. Nichts passierte. Wir betraten den Unterstand und schauten uns um. Die flinken Hände des Waschbären zuckten über die Ausrüstung. Ferngläser, Nachtsichtgeräte, Scharfschützengewehre und Munitionskisten lagen herum. Genug Munition, um lange auszuharren.
Da sich niemand rührte, ging ich davon aus, dass der Waschbär unbemerkt geblieben war. Wir liefen weiter durch den Unterstand, als mir eine Holzkiste auffiel. Die flinken Pfoten öffneten sie im Handumdrehen, und vor uns lagen etwa zehn Handgranaten. Jackpot!
Der Waschbär sollte natürlich nicht Kamikaze spielen. Wir liefen zurück zum Eingang des Unterstands und veranstalteten dort richtig viel Lärm. Wir schmissen Sachen um und warteten. Endlich regte sich etwas unten im Bunker. Einer kam die Leiter hoch. Wir rannten schnell zurück zur Kiste, zogen zwei Sicherungsstifte und machten uns aus dem Staub.
Wir huschten gerade an der Bodenluke vorbei, als sie aufging und der Wachmann fluchte, als er den Waschbären sah. Aufhalten konnte er uns nicht. Wir schossen aus dem Unterstand, und keine fünf Sekunden später explodierten zwei Granaten. Der ganze Unterstand flog förmlich in die Luft. Ich hatte den Waschbären schon verlassen und sah mir das Spektakel aus sicherer Entfernung an. Der Waschbär war sicher zu seinen Artgenossen zurückgekehrt.
Der Wachmann wurde von der vollen Wucht der Explosion zerfetzt. Den beiden Detonationen folgten weitere, als die restlichen Granaten detonierten. Als sich der Rauch gelegt hatte, wurde das Ausmaß der Zerstörung offensichtlich. Das Scharfschützennest war nur noch ein Haufen Schutt, die Trümmer lagen meterweit verstreut über das gesamte Bunkerdach.
Fox lachte und wir schlugen die Fäuste zusammen. Ein weiterer Schlag gegen die Bad Guys. Ein Gegner weniger. Und wir hatten eine der größten Gefahren für unser weiteres Vorgehen vernichtet. Was würden sie nun als Nächstes tun? Wir waren bereit.
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