Nach dem Abendessen mit vielen neuen Wahrheiten geht Mike daran, seine alte Freundin Kathrin aufzuspüren.

In dieser Nacht habe ich nicht viel geschlafen. Immer wieder tauchte Kathrins Stimme auf, dann die Fratze aus der Nacht und das dunkelrote Wabern um den Lederbeutel. Das Böse hatte mich gepackt und ließ mich wohl nicht mehr los.
Im Morgengrauen schnappte ich mir meinen neuen Bogen und stapfte zu meinem improvisierten Schießplatz im angrenzenden Wald. Gut versteckt von der Burg konnte ich dort mit dem neuen Schießsystem Erfahrungen sammeln.
Meine Erfahrung mit dem Recurve und dem mediterranen Schießen bei der Begegnung mit der Gestalt zu Weihnachten hatte mir eine harte Lektion erteilt: Das mediterrane Bogenschießen, das überall so beliebt ist, ist im Kampf und in der Konfrontation vollkommen unbrauchbar. Es ist toll, wenn man statisch an einem Pflock steht und auf ein unbewegliches 3D-Ziel schießt. Aber bewegt sich das Ziel und bewegt man sich als Schütze dazu, dann wird es eng. Auch die Schussfrequenz ist zu niedrig, das Nachladen zu langsam und der Pfeil liegt unkontrolliert auf dem Shelf und kann bei jeder Bewegung herunterfallen. Etwas Neues musste her – etwas, das sich im Kampf und Krieg bewährt hatte.
Nach langer Recherche im Internet stieß ich auf das berittene Bogenschießen. Asiatische und slawische Reiter nutzten kurze Bögen sehr erfolgreich vom Pferd aus. Auf einer Videoplattform schaute ich mir Videos dazu an und probierte die Technik erst an meinem alten kleinen Recurve aus. Etwas später kaufte ich mir einen asiatischen Reiterbogen aus Carbon, der in der Mitte teilbar war.
Der Schussablauf war ein völlig anderer und ich hatte Mühe, ihn zu lernen. Die vielen Jahre mit dem mediterranen Schießen mussten erst gelöscht und danach neu aufgebaut werden. Ich nutzte zwar weiterhin meine linke Hand, um den Bogen zu halten, und die rechte, um die Sehne zu ziehen, aber alles andere war anders. Die rechte Hand beherbergte gleichzeitig bis zu zehn Pfeile als Magazin. Der Daumen hakte sich in die Sehne und wurde mit dem Zeigefinger gesichert. Gleichzeitig drückte der Zeigefinger den Pfeilschaft von rechts gegen den Bogen. So blieb der Pfeil immer an Ort und Stelle, auch wenn sich der Schütze bewegte. Ein Shelf wurde so nicht benötigt.
Das war im Kampf echt von Vorteil. Doch es gab sehr viele Dinge im Schussablauf, die ich ändern musste, und mein Trefferbild wurde mies. Der ganze Ablauf mit dem schnellen Einlegen des Pfeils war eine Herausforderung, die mich doch einige Zeit des Übens und Scheiterns kostete. Aber ich wurde besser, und alles formte sich langsam zu einer echten Alternative. Ich baute mir auch in dem Wäldchen eine Art wilden Parcours, den ich durchlaufen und dabei verschiedene Ziele treffen musste. Ich war immer in Bewegung, tauchte unter Baumstämmen durch, balancierte auf ihnen, versteckte mich hinter Deckungen und schoss meine Pfeile ab. Es war eine Tortur, aber ich liebte es! Und ich wurde immer besser.
Und heute Morgen klärte es, wie so oft, meinen verwirrten Geist. Nach zwei Stunden war ich platt. Mein Daumen brannte von den vielen Pfeilen, die ich abschoss. Das dünne Schutzleder um den Daumen half leider nur wenig. Einen Daumenring hatte ich zwar versucht, war aber nie mit ihm klargekommen und daher eher bei einem Daumenleder geblieben.
Wieder hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Wie gestern war es vertraut. Ich dachte an meine Scoutausbildung zurück. Damals hatte mich mein Lehrer auch im Wald beobachtet. Konnte das sein? War er es? Nein! Ich dachte an die Geschichte von Bernds Tod zurück und an John Silent Fox, der mich unter seine Fittiche genommen hatte. Er hatte mich meinem Lehrer vorgestellt. Auch er war immer so gewesen: verborgen im Wald. Der Stalker, der mich beobachtete.
Ach was. Ich machte mir zu sehr einen Kopf. Das waren Hirngespinste. Gestern war wieder extrem gewesen, zu viel Unheimliches passiert, zu viele Geheimnisse aufgedeckt. Ich ging zurück zur Burg.
Beim Frühstück traf ich Bertold und Marlies und bat sie, mir den Schlüssel zu Kathrins Zimmern in der Burg zu geben. Ich wollte sie ausfindig machen. Das war mir heute Morgen klar geworden. Sie sah mich zwar als Feind oder Gegner, aber in mir liebte ich sie. Ich hatte diese Liebe nach Bernds Tod verschlossen und den Schlüssel weggeworfen. Aber sie war immer noch da und brach langsam aus ihrem Gefängnis hervor. Ich brauchte Gewissheit. Ich musste versuchen, sie von ihrem dunklen Weg abzubringen.
Marlies sah mich an und verstand mich sofort. Auch wenn ich nicht sagte, was in mir vorging, war es ihr klar. Sie nickte und händigte mir den Schlüssel aus.
Nun stand ich vor der Tür, den Schlüssel in der Hand, und wagte es nicht, die Tür zu öffnen. Moon sah mich an. „Na los!“, lag in ihrem Blick. „Mach schon!“ Da musste ich wohl jetzt durch. Ich atmete durch, steckte den Schlüssel in das Schloss und drehte ihn um.
Das Zimmer war anders, als ich es in Erinnerung hatte. Irgendwie dunkler. Oder war das Einbildung? Es wirkte verlassen. Hier war seit Jahren keiner mehr drin gewesen.
Ich durchstöberte die Bücher. Viel Wicca und Neuheidentum, ziemlich viel Esoterik-Zeug, viel über Hexenmagie. Aber alles eher das, was Teenies lesen und dann meinen, eine Hexe zu sein. Fehlte nur noch ein Buch von Bibi Blocksberg oder Harry Potter. Echte Magie war hier nicht.
Moon polterte in einer Ecke. Ich schaute hin. Unter der Fensterbank hatte sie etwas entdeckt. Ich bückte mich hinunter. Da war so ein alter Lüftungsschacht mit einem Gitter. Ich zückte mein Leatherman Multitool und schraubte vorsichtig das Gitter ab. Mit meiner kleinen Taschenlampe leuchtete ich hinein und fand ein in Leder gebundenes Notizbuch.
Ich öffnete es und erkannte sofort Kathrins Schrift. Oh Scheiße. Ihr Tagebuch. Ich fühlte mich wie ein Stalker und Spanner in einem und wollte es schon zurücklegen. Aber ich wollte auch mehr von ihr erfahren. Also nahm ich es mit.
Nach einem Besuch in der Küche saß ich nun mit dem Buch und einem Pott Kaffee an meinem Schreibtisch und blätterte durch das Buch. Von den Jahresangaben her war es die Zeit, in der wir zusammen gewesen waren, bis zu Bernds Tod und ein wenig länger dort aufgezeichnet.
Ich begann zu lesen und erfuhr sehr viel darüber, wie es in ihr aussah: In der Zeit, wo ich im Auslandseinsatz war, als Bernd tot und ich verletzt war. Ihren Schmerz, ihre Wut, als ich mich von ihr löste. Den Hass, den sie auf alles und jeden entwickelte, und ihr Abdriften in immer dunklere Gedankengänge.
Dann war sie wieder in Wuppertal an der Uni. Sie sprach von ihrem eigenen kleinen Hexenzirkel und wie sie tiefer in die Macht eintauchte. Dann lernte sie jemanden kennen und auf einmal war ihr Schreibstil wieder kraftvoller.
Die Meisterin! Sie hatte jemanden gefunden, der ihr half, die Macht, die sie in sich hatte, zu kontrollieren. Ihr neue Wege aufzeigte. Sie mächtiger machte. Ihre letzten Aufzeichnungen entstanden bei einem kurzen Besuch bei ihren Eltern. Sie hatten Streit. Das wühlte sie derart auf, dass sie einen Schlussstrich zog und danach endeten ihre Aufzeichnungen.
Ich sprach natürlich mit ihren Eltern darüber. Kathrin musste nach Beendigung des Tagebuchs ziemlich flott die Biege gemacht haben. Es kam zu diesem verbalen Schlagabtausch mit den Eltern, denen ihre Veränderungen nicht gefielen, und dann war sie schon weg. Zurück zur Uni nach Wuppertal. Danach Funkstille.
Fortsetzung folgt...
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