Fluch des Hexenjägers – Wahrheiten

Jetzt kommt schon das zweite Kapitel aus dem zweiten Band der Moon-Chroniken. Nachdem Mike wieder ein Begegnung mit Kathrin hatte, will er Antworten vom Grafen. Bei einem Abendessen kommen einige Wahrheiten auf den Tisch.

Auf dem Rückweg zur Burg war ich sehr aufgewühlt. Ich rief Alex an und lud ihn zum Abendessen ein. Berthold und Marlies waren zunächst nicht begeistert, doch da ich wichtige Neuigkeiten hatte, konnte ich ein gemeinsames Essen durchsetzen.

Trotzdem verlief der Abend sehr gezwungen. Ich beschloss, das Thema Kathrin erst später, bei einem Whisky im Salon, anzusprechen. Dort erzählte ich von dem Erlebnis kurz vor Weihnachten, während der Suchaktion nach Daniel. Das allein rief schon unterschiedliche Reaktionen hervor: Das ältere Ehepaar sah sich seltsam an und Alex war einfach nur skeptisch.

Als ich dann von der Begegnung mit der alten Frau berichtete, herrschte zunächst Schweigen.

„Du willst jetzt wissen, worum es geht“, fragte mich der Graf. „Sie glauben das wirklich?“, fuhr Alex dazwischen. „Ja, das tue ich tatsächlich. Was ich jetzt erzähle, ist ein wohlgehütetes Geheimnis meiner Familie. Im Mittelalter wurde einer meiner Vorfahren zum Hexenjäger. Immer wieder verschwanden Kinder in den umliegenden Wäldern und tauchten nicht mehr auf. Die Bevölkerung war außer sich vor Angst, und mein Ahnherr wurde von den Bewohnern gedrängt, das Böse in den Wäldern zu vertreiben. Er war leider nicht sehr erfolgreich. Doch dann tauchten zwei Geschwister, Bruder und Schwester, wieder auf. Eine Hexe hielt sie tief im Wald gefangen, denn sie benötigte ihre Herzen für schwarze Magie. Beide hatten die Hexe überwältigt und waren geflohen. Dabei hinterließen sie jedoch eine Spur zur Hütte der Alten. Sofort zog mein Vorfahr mit seinen Kämpfern los und folgte der Spur. Schnell fanden sie die Hütte der Hexe und sahen mit eigenen Augen das Grauen, das dort hauste. Halb verweste Kinderleichen hingen in den Bäumen, die Herzen aus den Körpern gerissen. Mein Vorfahr sprach sofort an Ort und Stelle Recht und verurteilte die Hexe zum Tod durch das Feuer. Sie wurde in ihre Hütte gesperrt, die dann angezündet wurde. Während ihres Todeskampfs verfluchte die Hexe meinen Vorfahr.“

Ich hatte das Gefühl, dass uns der Graf nicht alles erzählt hatte. Ich sah Berthold und Marlies an. Hatten sie einen Blick ausgetauscht? Auch Moon stupste mich an. Ihr war etwas aufgefallen, aber wir beide konnten es nicht fassen. Wahrscheinlich brauchte der Graf einfach noch Zeit und würde die ganze Geschichte irgendwann später erzählen.

„Puh“, sagte Alex. „Klingt wie Hänsel und Gretel.“ 

„Ja, das stimmt. Die Brüder Grimm ließen sich die Geschichte von dem Fluch zu ihrer Zeit von einem weiteren meiner Vorfahren erzählen und machten daraus, mit ihrer künstlerischen Freiheit, das Märchen.“ 

„Jedenfalls war Kathrin von dem Fluch besessen“, sagte Marlies. „Sie wandte sich schon in ihrer Jugend der Hexenmagie zu. Dann hatte sie die Beziehung mit dir, Mike, begonnen, und es kehrte Ruhe in ihren Geist ein. Aber als Bernd getötet wurde, brach all das wieder aus ihr hervor. Sie kapselte sich immer weiter von uns ab und verschwand schließlich – mit der Bitte, sie nicht zu suchen und in Ruhe zu lassen. Sie war damals so extrem, dass wir ihr ihren Willen ließen.“

„Das habe ich nicht gewusst. Habe ich das verursacht, als ich unsere Beziehung beendet habe?“ 

„Ja und Nein. Bernds Tod war der Auslöser, und als du sie weggestoßen hast, gab ihr das wohl den Rest. Mike, was ist damals passiert? Du hast uns nie vom Tod unseres Sohnes erzählt.“

Ich schaute Alex an, der bisher ziemlich still gewesen war. Er nickte und gab mir so zu verstehen, dass es in Ordnung sei, diese Episode unserer Vergangenheit zu erzählen. Trotzdem sträubte ich mich, die Vergangenheit wieder hervorzurollen. Als ich still blieb, fing Alex an zu erzählen.

„Wie Sie wissen, sind Bernd, Boris, Mike und ich nach dem Abi gemeinsam zur Bundeswehr gegangen. Dort gefiel es uns allen sehr gut, und so verpflichteten wir uns für ein paar Jahre. Als unsere Einheit nach Afghanistan ausrücken sollte, waren wir Feuer und Flamme. Besonders Bernd und Boris waren enorm motiviert. Boris sollte ins Waffengeschäft seines Vaters einsteigen, da waren Einsatzgeschichten enorm wichtig. Auch hoffte er, mit sehr viel mehr Waffentechnik in Berührung zu kommen, als bisher, was für seinen baldigen Job sicherlich nicht schlecht gewesen wäre. Und Bernd sah darin wieder so seine Aufgabe. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, immer und überall für die Unterdrückten und Entrechteten zu kämpfen. Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber mit seiner Moraltour ging er mir ziemlich auf den Sack.“ 

„Komm, du bist auch nicht uneigennützig dahingegangen. Du wolltest zur Polizei, und da kam die Armee dir doch entgegen. Und von der Art und Weise, wie Bernd und du drauf wart, war es doch eh schwierig zu entscheiden, wer jetzt der weißeste Ritter von euch beiden war.“

Alex sog die Luft ein, nickte und lachte. „Ja, wir sind euch beiden richtig auf die Eier gegangen.“

„Genau, und jeder wollte den anderen übertrumpfen mit der Übernahme von Sonderaufgaben. Und weil wir halt zu viert waren, mussten Boris und ich immer mitmachen, wenn ihr wieder wo aushelfen musstet. So fragte man uns, ob wir bei einer Patrouille der Amerikaner aushelfen könnten. Die hatten ein paar Soldaten auf Heimaturlaub und waren unterbesetzt. Und so kam es, dass wir in die mieseste Scheiße geraten sind, die es je gab.“ 

„Ja, wir wurden aufgeteilt auf vier Humvees. Ich und Boris im zweiten Wagen und Bernd und Mike im Letzten. Dort bildeten sie die Nachhut außerhalb des Wagens, als wir um eine Haarnadelkurve fuhren. Drei Wagen waren bereits um die Kurve gefahren, als ein Sprengsatz den ersten Wagen außer Gefecht setzte.“ 

„Genau. Und der vierte Wagen war noch nicht ganz herum, da wurde auch er gesprengt. Bernd und ich waren 20 Meter dahinter und wollten gerade aufschließen, da fegte uns die Druckwelle von den Füßen. Ich war hart auf den Boden aufgeschlagen und kurz weg gewesen. Gerade kam ich langsam wieder zu mir und hörte von allen Seiten das Knattern von Gewehrfeuer. Bernd zog mich vom Wagen weg in die Richtung, aus der wir mit dem Konvoi gekommen waren. Die Felsen an der Seitenwand der Kurve boten uns Deckung vor den Angreifern oberhalb. In diesem Moment schlug das Geschoss einer Panzerfaust in den vierten Humvee. Der war zwar schon außer Gefecht, aber dahinter hatten sich einige Kameraden verschanzt und feuerten auf die Angreifer. Bernd und ich waren gerade an den Felsen angekommen, da flogen schon die Wrackteile des Humvee um uns herum. Da ich noch auf allen Vieren war, trafen sie mich nicht. Aber Bernd bekam einen vollen Treffer ab und wurde zu Boden geschleudert. Ich bin sofort hin und drehte ihn auf den Rücken. Das scharfkantige Teil ragte aus seiner Brust heraus. Überall an ihm war Blut. Er spuckte Blut. Versuchte, etwas zu sagen, aber da kam nichts. Er packte das Teil und versuchte, es sich aus der Brust zu ziehen. Daran hinderte ich ihn. Ich packte mein IFAK aus und versuchte so gut es ging, mit Gaze das Teil abzupolstern und die Blutung zu stoppen. Aber es half nichts. Bernd drückte meine Hand, sah mich an, berührte mich an der Wange, und dann war er fort.“ 

„Ich hörte diesen unmenschlichen Schrei und wusste, dass hinter der Kurve etwas Schreckliches passiert war. Dennoch konnte ich nichts tun. Wir waren mitten im Gefecht. Kugeln schwirrten um uns herum. Der amerikanische Zugführer, John Silent Fox, ein Native, war auch verletzt. Boris kümmerte sich um ihn. Unsere Position war beschissen. Von oben hatte uns eine Gruppe Taliban unter Feuer genommen. Aber hinter den übrigen zwei Humvees waren wir recht gut geschützt. Ich hatte den RPG-Schützen ausgemacht und nahm ihn unter Feuer, damit er nicht noch einmal mit der Panzerfaust auf uns schießen konnte. Das wäre unser Ende gewesen. Die Amis hatten schon Unterstützung angefordert. Wir mussten noch fünf Minuten aushalten. Ich schrie in mein Mikrofon, dass Bernd und Mike den RPG-Schützen flankieren und ausschalten sollten. Mehrmals. Es kam keine Antwort.“

„Nachdem ich meinen Schmerz und Frust rausgeschrien hatte, hörte ich Alex‘ Funkspruch. Ich atmete durch. Griff mein HK G36, überprüfte das Magazin, lud durch und machte mich auf den Weg bergauf. Ich kletterte den Felsen rauf und kam fast auf gleicher Höhe wie die Angreifer raus. Ich sah kein RPG. Ich sah eh nicht sehr viel. Tränen schwammen in meinem Blick. Unbändige Wut durchflutete mich. Ich nahm das Sturmgewehr an meine Schulter, lief los und feuerte kurze Salven auf jeden Angreifer, den ich wahrnahm. Laufen und feuern! Ich hoffte, sie würden mich töten, wie sie Bernd getötet hatten. Mein Blutsbruder war tot, und auch ich wollte sterben. Aber nicht, ohne noch so viel von den Arschlöchern mitzunehmen, wie ich konnte.“ 

„Ich sah Mike von rechts kommend in mein Sichtfeld treten. Er stürmte in die Gruppe Angreifer hinein wie ein Berserker. Er feuerte auf jeden, der sich ihm in den Weg stellte. Als das Magazin leer war, wechselte er es blitzschnell, schloss die Kammer und feuerte auf den nächsten Gegner. War er zu langsam für den Magazinwechsel, griff er zur Pistole und wechselte danach erst wieder zum Gewehr. Es hatte etwas von einem Tanz. In dem Moment erinnerte es mich so sehr an die Hongkong-Action-Filme, die wir immer geschaut haben, und Mike war voll in seinem Element. Er mähte sich so durch die Angreifer, dass am Ende keiner mehr übrig war und die Helikopter mit ihren Mini-Guns gar nicht zum Einsatz kamen.“ 

„Ich war wie im Rausch. Am Ende brach ich dann doch zusammen. Insgesamt hatten mich drei Geschosse recht übel erwischt. Oberschenkeldurchschuss. Ein Steckschuss in der Schulter, und einer ging aus nächster Nähe in die Schutzplatte des Chest-Rigs und brach mir zwei Rippen, wovon eine die Lunge durchbohrte.“ 

„Aber als die Helis ankamen, brach er gerade zusammen und er wurde gemeinsam mit dem Zugführer der Amis direkt ausgeflogen. Auch in der Basis trafen wir sie nicht mehr an, als wir zurückkehrten. Nachdem man beide stabilisiert hatte, wurden sie nach Ramstein ausgeflogen.“

Stille senkte sich in den Raum. Keiner sagte etwas. Jeder musste das Gesagte erst einmal verdauen.

Irgendwann fragte mich Marlies: „Warum hast du uns das nicht schon früher erzählt? Warum bist du verschwunden?“

„Ich konnte Bernd nicht retten und habe noch dazu für die ganze Aktion einen Orden bekommen, den ich nicht haben wollte. So konnte ich nicht heimkehren. Ohne Bernd und doch ein strahlender Held. Nein – niemals. Das ging einfach nicht.“

Marlies nickte und drückte mir die Hand.

Berthold stand auf und schenkte noch einmal Whisky nach. Alex hob das Glas: „Auf Bernd.“ Alle taten es ihm gleich, und wir leerten unsere Gläser. Es war Zeit, dieses Treffen zu beenden.

Als ich Alex zum Wagen begleitete, fragte er mich, ob ich den Lederbeutel von der alten Frau noch hätte. Er würde ihn gerne seinen Forensikern zeigen. Sofort händigte ich ihm den Beutel aus. Ich war froh, dass das böse Ding weg war.

Nachdem auch Alex gefahren war, stand ich noch eine Weile in der kühlen Nachtluft. Moon presste ihren Körper an mein Bein. Sie merkte, wie aufgewühlt ich war. Richtig viel Schlaf würde ich wohl nicht bekommen.

Fortsetzung
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