Ein altes Ritual

Die Suche nach Kathrin und ihrer Hexenmeisterin geht weiter. Wenn ihr neu hier seid, schaut doch mal in die Anfänge der Moon-Chroniken vorbei.

Die Fahrt verlief schweigend. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Eine Mischung aus Ärger und Erleichterung durchzog mich. Zweimal in einer Nacht war ich blauäugig in eine Geschichte gestolpert, die mich fast das Leben gekostet hätte. Ohne Fox hätte ich schon Wuppertal nicht überlebt. Aber immerhin: Mein Kampfgeist gegenüber meinem Vater erwachte langsam.

Gabriel fuhr uns direkt zur Burg, wo Graf und Gräfin bereits im Arbeitszimmer warteten. Nach Fox’ Vorstellung wurde er sofort eingeladen – Johann bereitete bereits ein Zimmer für ihn vor.

Mein Bruder nahm uns beiseite, um die Ereignisse des Vortages zu besprechen. Er meinte, alles fiele wohl unter Notwehr. Nur für Fox’ Waffen müsse er sich noch etwas einfallen lassen. Zudem wusste Alex von unserem Trip nach Wuppertal und hatte ihn ja irgendwie abgenickt. Wir vertagten die Unterhaltung auf den Nachmittag.

Nachdem Gabriel gefahren war, machte sich Fox auf den Weg in den umliegenden Wald, um seine restliche Ausrüstung einzusammeln. Allein ging ich ins Arbeitszimmer. Ich traf das Ehepaar an und platzte direkt heraus:

„Ihr habt mir nicht die Wahrheit gesagt! Irgendetwas verheimlicht ihr mir. Was ist hier los, verdammt?!“

„Ja, du hast Recht, Mike. Wir waren nicht ganz ehrlich“, erwiderte die Gräfin ruhig. „Im Großen und Ganzen stimmt aber vieles.“

„Bertold, dann leg doch endlich mal die Karten auf den Tisch!“, drängte ich.

„Beruhig dich erstmal. Ich würde das gerne heute beim Abendessen machen. Dann wären alle dabei“, versuchte der Graf zu beschwichtigen.

„Du weichst schon wieder aus! Warum ziehst du das in die Länge? Du hast doch gesehen, wie schnell es eskalieren kann!“ Meine Stimme bebte.

„Ja. Aber das alles ist größer als du, als wir, als Kathrin und dein Vater“, entgegnete er ernst.

„Was meinst du damit?“ Verwirrung machte sich breit.

„Mike, vertrau mir da bitte noch einmal. Es sind weitere Personen involviert. Die werden ihren Teil dazu beitragen, das alles zu klären.“

Schließlich nickte ich zustimmend und verließ die beiden. Im Flur begegnete ich Fox, der durch die Burg wanderte.

„Das ist schon ein beeindruckendes Haus! Weniger beeindruckend warst du aber gestern, Mike. Ich habe dich noch nie so unvorbereitet gesehen. Ich kenne dich anders und habe dir das auch anders gelehrt.“

Unsere Zeit in Montana kam mir in den Sinn. Nach unserem Krankenhausaufenthalt und der Reha, die wir zusammen meisterten und uns von unseren Verletzungen erholten, wurden wir richtig gute Freunde. Als ich nach Bernds Tod emotional aus der Spur war, versuchte er mir zu helfen.

Wir landeten in seiner Heimat, tief im Wald, wo er mir seine indianische Sicht auf die Welt und alles, was dort lebte, lehrte. Wochenlang verschwanden wir in der Wildnis, meditierten oder reisten zu unseren geistigen Kraftplätzen. Wir lebten wie seine Vorfahren, und ich lernte in dieser Zeit einiges.

„Ja, da hast du wohl Recht“, gab ich zu. „Eigentlich wollte ich nur Spuren von Kathrin finden. Auch hätte ich nicht gedacht, dass sie mir eine Falle stellen würde. Ihr tiefer Hass hat mich ebenfalls überrascht.“

„Du hättest aber spüren müssen, dass da was im Busch ist“, erwiderte Fox. „Ich habe schließlich auch gespürt, dass deine Kraft erwacht und dass du da wohl etwas Führung benötigst. Deshalb bin ich hier. Aber du musst jetzt ganz schnell den Arsch hochkriegen. Unser Feind ist mächtig und stärker als du.“

Ich nickte.

„Lass uns in den Wald gehen.“

Im nahegelegenen Wäldchen suchten wir uns eine schöne, kraftvolle Stelle. Wir sammelten Holz und entzündeten ein Feuer. Salbei begann zu glimmen, und nachdem wir uns bis auf die Unterhose ausgezogen hatten, reinigten wir uns im Rauch des kraftvollen Krauts. Danach ließen wir uns nieder. Fox hatte seine Trommel mitgebracht und trommelte seinen ganz eigenen Rhythmus, der mich schnell aus dieser Welt trug.

Auf der anderen Seite begegnete mir zuerst die Frau Moon und Sie schloss mich in die Arme. Ihre Kraft durchströmte mich. Danach flogen wir zur alten Frau auf das Plateau. Fox war schon da, und wir setzten uns ans Feuer.

Die Alte zeigte uns einen Lederbeutel, der dem ähnelte, den ich bei der alten Dame gefunden hatte, nachdem Kathrin zu mir gesprochen hatte. Mit Abscheu öffnete die Alte ihn und zeigte uns, wie die Kraft des Beutels entstand. In einem Nest aus Pflanzenteilen, kleinen Ästen und tierischen Knochen lag ein menschliches Herz, das seinen Herzschlag pumpte. Dabei floss weder Blut hinein noch hinaus, sondern Energie stieg in einer rot-schwarzen Aura aus ihm hervor. Das Herz schrumpfte immer weiter, bis es nur noch ein kleiner schwarzer Klumpen war und die Aura aufhörte zu existieren.

Nun öffnete die Alte das Nest und entnahm den Klumpen. Sie stimmte einen lauten Gesang an, der keine Worte formte, sondern nur Töne. Sie trauerte! Die ganze Trauer um das gestorbene Herz und den dazugehörigen Menschen floss in ihren Gesang. Ich konnte diese Trauer spüren und weinte. Moon heulte außerhalb des Zeltes, kam dann hinein und winselte neben der Alten. Diese reichte ihr den Klumpen, den sie beschnupperte. Dann schoss sie los, hinaus aus dem Zelt, hinaus in die magische Welt und riss mich mit sich. Ich war neben ihr und flog durch die Luft. Sie hatte eine Spur. Schneller flog sie, und ich folgte.

Auf einmal sahen wir ein helles Licht vor uns und flogen darauf zu. Ein kleines Mädchen von vielleicht acht oder neun Jahren stand nun vor uns. Ihr Körper war nur eine Aura. Sie hatte Angst. Sie war allein. Sie flehte mich an, ihr zu helfen, damit sie diesem hässlichen Ort entfliehen konnte. Es zerriss mich fast.

Und dann war ich wach. Fox saß mit der Trommel vor mir und sah mich an. Ich sprang auf und fing an zu laufen. Halbnackt und barfuß rannte ich los. Ich wusste, wohin ich musste. Es war ein langer Weg. Während ich lief, nahm ich jedes Detail des Weges auf. Ich spürte den Boden, die Erde, die Mutter, aus der ich gemacht war. Ihre Energie floss durch mich hindurch. Ich spürte, wie sie mich stärkte. Mit jedem Schritt nahm ich Fahrt auf. Und sie zeigte mir dabei ihre Welt.

Ich konnte Tiere in meiner Nähe sehen, hören und spüren. Die Bäume sprachen zu mir. Der Wind sprach zu mir. Mein Geist war offen für alles. Jede einzelne Information, jeder Eindruck überwältigte mich. Ich wurde zum Jäger. Zum Jäger der großen Mutter. Zum Jäger, der die aufspüren sollte, die die Welt aus dem Gleichgewicht brachten. Die die Mutter zerstören wollten.

Ich flog durch den Wald. Ich spürte das Mädchen. Sie war in der Nähe. Ich verlangsamte meinen Schritt. Etwas Böses war in der Nähe. Ich griff mir ein Stück Holz und wühlte die Erde unter mir auf. Als ich sie aufgelockert hatte, ging ich auf die Knie und grub mit den Händen weiter, bis ich auf den toten Körper des Mädchens traf. Ich berührte es. Meine Hände legten sich auf ihren offenen Brustkorb. Ich weinte. Ich schrie. Ich ließ all meine Angst raus. All die aufgestaute Wut des letzten Tages.

Dies war Kathrins Werk. Hier hatte sie eine böse Kraft angeleitet und einen bösen, unheiligen Zauber gewirkt.

Und ich spürte nicht nur das Mädchen. Hier waren noch mehr!

Ich war am Ende. Meine Kraft und meine Wut erloschen. Ich brach zusammen. Alles um mich herum wurde dunkel.

Fortsetzung folgt…
Hat Dir die Geschichte gefallen?
Dann lass doch einen Daumen nach oben da! Das würde mich sehr freuen.
Aber auch, wenn er Dir nicht gefallen hat, kannst Du ihn mit einem Daumen nach unten bewerten. 
Toll wäre es, wenn Du mir ein Feedback gibst. Schreib mir einfach eine E-Mail an rb.bjoern.eickhoff@gmail.com