Dies ist der nächste Teil der Geschichte „Der Ruf des Bussards“. Wenn Du jetzt gerade erst einsteigst, geh doch mal zum Anfang.
So gut hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen. Ein eigenes Bett, eine weiche und warme Decke, ein gutes Kopfkissen. Dazu ein beheiztes Zimmer. Das war etwas ganz anderes als mein Bauwagen mit seinem Holzofen – vor allem im Winter.
Ich war zeitig erwacht und genoss gerade ein reichhaltiges Frühstück. Der Graf hatte wohl schon gefrühstückt, wenn ich Johann richtig verstanden hatte. Ich erinnerte mich, dass wir gleich einen Termin mit meinem Bruder Gabriel hatten, und so schaufelte ich mir schnell den Teller voll und vertilgte alles in Windeseile.
Danach machte ich mich auf zum Arbeitszimmer. Ich klopfte an und nach einem knappen „Herein!“ öffnete ich die Tür. Die Anwälte waren schon da. Verdammt! Alle beide. Ihre Blicke richteten sich auf mich, und der Graf winkte mich freundlich zu sich. Mein Bruder Gabriel blickte interessiert, ein wenig belustigt, und nickte mir zu. Der Blick meines Vaters war kalt – ein eisiger Stich, der mich bis ins Mark traf.
Er wandte sich an den Grafen. „Was macht mein Sohn hier?“
„Mike und ich haben eine Vereinbarung getroffen, und ihr sollt bitte den Arbeitsvertrag aufsetzen.“
Die Worte meines Vaters trafen mich wie ein Schlag. „Mein Sohn soll für Dich arbeiten? Was soll er tun? Irgendwelche Handlangertätigkeiten? Bei seiner bisherigen Ausbildung ist ja nicht viel drin. Er kann im Stechschritt marschieren. Aber sonst, ja eher nichts. Auf dem besten Weg, ein totaler Versager zu werden.“
Ein heißer Schwall Wut stieg in mir auf. „Danke, Paps, ich kann Dich hören!“
Sein Blick verdunkelte sich. „Ich bin nicht Dein Paps! Ich bin Dein Vater. Und Du bist eine absolute Enttäuschung. Wie nennt man euch Ex-Soldaten, die nicht in die Gesellschaft passen? Ach ja! Zivilversager. Was willst Du hier? Der Versuch, doch noch ein passables Leben zu führen? Oder versuchst Du hier einfach nur ein paar Kröten abzugreifen und dann endgültig in der Versenkung zu verschwinden!“
Der Graf unterbrach ihn mit fester Stimme. „Roland. Es reicht! Du bist hier, weil ich meinen Anwalt brauche. Ich bezahle Dich, um eine Aufgabe zu erfüllen. Dein Sohn will für mich arbeiten, und ich werde ihn genauso bezahlen wie Dich, für Deine Aufgabe. Wenn Du da emotional zu nah dran bist, dann mache ich das mit Gabriel. Das hatte ich eigentlich von Anfang vor. Daher sollte nur Gabriel kommen und nicht Du, Roland.“
Mein Vater schwieg. Er sah mich an. Dann sah er den Grafen an. Nickte. Schüttelte den Kopf. Eine unheilvolle Stille legte sich über den Raum. Dann forderte er Gabriel und mich auf, ihn und den Grafen alleine zu lassen. Der Graf nickte das ab, und Gabriel und ich machten schnell, dass wir wegkamen.
Mein Bruder schaute mich an, lachte und schüttelte den Kopf. „Puh, Mike, Du und Roland, ihr seid echt ein Pulverfass. Ihr geht immer hoch, wenn es um den anderen geht oder wenn ihr aufeinander trefft. Scheiße! Provozier ihn dann nicht noch zusätzlich, indem Du ihn Paps nennst.“
„Ach, Gabriel, halt doch einfach das Maul!“ Meine Stimme war scharf, voller der aufgestauten Frustration. Aber Gabriel ließ das einfach von sich abprallen.
„Ich brauch ’nen Kaffee.“
„Lass uns in die Küche gehen. Das hier wird bestimmt noch dauern.“
In der Küche saßen wir zwei schweigsam zusammen. Reden war noch nie unsere Stärke gewesen. Auch lagen fünfzehn Jahre Altersunterschied zwischen uns. Ich war der Nachzügler. Ich nahm ihm die Mutter und meinem Vater die Liebe seines Lebens. Gabriel verkraftete es, meinen Vater machte es fertig. Seine Verbitterung ließ er an mir aus. Bis ich floh, immer öfter. Hierher. Zu Bernd und seiner Familie, die für mich mehr Familie war, als es meine leibliche je sein würde. Und hier wurde mir jetzt auch eines klar: Es war Zeit, sich dem zu stellen. Nicht der Graf hatte für mich einzustehen, sondern ich!
Abrupt stand ich auf. Gabriel sah mich verwundert an. Und ich ging schnellen Schrittes zum Arbeitszimmer. An der Tür stockte ich kurz, atmete durch und trat ein. Der Graf und mein Vater standen wütend voreinander – ihre Gesichter waren verzerrt von Zorn. Als ich durch die Tür trat, drehten sich beide zu mir um. Der Graf schaute mich fragend an.
„Geben Sie mir eine Minute mit meinem Vater“, sagte ich, der Graf nickte und verließ das Zimmer.
„Bitte, setz Dich. Wir müssen uns mal unterhalten“, sagte ich zu ihm. Er blickte mich mit einer Mischung aus Wut und Überraschung an, nahm aber auf dem Stuhl wieder Platz. Die Luft knisterte förmlich.
„So kann das nicht weitergehen, Vater. Ich bin ein erwachsener Mann, und ich treffe die Entscheidungen für mein Leben. Du hast da nichts, aber auch gar nichts zu melden!“ Jedes Wort war eine Befreiung.
Er schaute mich lange an. Schweigend. Er schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Noch ein langer, verachtender Blick, und er stand auf und verließ das Zimmer. Jetzt saß ich überrascht da und blickte ihm nach. Hatte ich jetzt den Bruch endgültig vollzogen, den er bei meiner Geburt eingeleitet hatte? Ich wusste es nicht.
Ich atmete. Fühlte das Fell an meinen Beinen. Der Körper, der mich tröstend berührte. Die Wölfin, die genau wusste, was in mir vorging. Die in mir war und doch auch nicht. Die fühlte, was ich fühlte. Lange blieb ich sitzen. Genoss ihre Nähe. Sie kochte meine Emotionen runter, und endlich fand ich die Kraft aufzustehen und das Zimmer zu verlassen.
Der Graf und Gabriel kamen mir entgegen. Mein Vater hatte nur kurz zu Gabriel gesagt, dass er seinen Job machen solle, und dann war er gefahren. So saßen wir drei zusammen und handelten recht zügig die Einzelheiten zum Vertrag aus. Dieser war ebenso schnell unterschrieben, und Gabriel machte sich auf den Weg. Ich bat ihn, mich auf dem Laufenden zu halten und fragte, ob er mal auf ein Bier vorbeikommen könne. Dann waren der Graf und ich wieder alleine.
„Ich glaube, dass Du nicht mehr in dein Elternhaus zurückkehren kannst, Mike.“
„Will ich das? Wollte ich je da sein? Er hat mich doch immer weggestoßen. Der Freak, der bei der Geburt seine Frau getötet hat.“
„Ja. Das hat er nie verwunden. Dass er Dir die Schuld gegeben hat, war so was von unlogisch. Ich hätte nie erwartet, dass er Dich so wegstoßen würde. Wie fühlst Du dich?“
„Da ist nichts. Wir sind uns seit Ewigkeiten fremd. Ich war irgendwie mehr hier, als ich bei ihm war. Daher haben wir nichts gemeinsam, was ich jetzt vermissen könnte. Vielleicht habe ich auch deshalb eher im Wald gehaust, als zurückzukehren. Da war nichts, wo ich hin konnte und wo ich willkommen gewesen wäre.“
„Na, dann. Lass uns hier mal dafür sorgen, dass Du wieder zurückkehrst. Hier bist Du willkommen, Mike.“
„Danke, Bertold.“
Er streckte mir seine Hand hin, und ich schlug ein. Ein neues Kapitel begann.
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