Dies ist der nächste Teil der Geschichte „Der Ruf des Bussards“. Wenn Du jetzt gerade erst einsteigst, geh doch mal zum Anfang.
Der November verflog im Nu. Die neuen Aufgaben rund um die Burg nahmen mich voll in Beschlag. Mein spärliches Hab und Gut hatte ich schnell aus dem Bauwagen hierher geschafft. Viel besaß ich ohnehin nicht.
Nachdem der Bauwagen den Wald verlassen hatte, begann die Natur rasch, meine Spuren zu verwischen. Doch ich kehrte immer wieder gerne an diesen Ort zurück, um dort zu verweilen, wenn ich völlige Einsamkeit suchte.
Der Graf hatte mich zügig in meine Aufgaben eingewiesen, und ich verschaffte mir einen umfassenden Überblick. Einiges musste neu angeschafft werden. So kam ein geländegängiges Gefährt hinzu – ein lautes UTV mit kleiner Fahrerkabine und Ladefläche. Mit ihm erreichte ich viele meiner weiter entfernten Aufgabenbereiche auf dem weitläufigen Gelände. Es wurde mein neues Gefährt. Mein treuer Jimny hingegen verließ mich und machte sich auf den Weg nach Afrika, um dort weitere Aufgaben zu übernehmen.
Die Pflichten, die Bertold mir übertrug, waren vielfältig. Doch schon nach kurzer Zeit erledigte ich sie mit Leichtigkeit, und es fühlte sich kaum wie wirkliche Arbeit an. Dadurch blieb mir viel Zeit für private Angelegenheiten.
Einen Großteil davon verbrachte ich mit Moon. Mein Geist wanderte oft mit ihr, und wir sprachen miteinander. Sie lehrte mich viele Dinge und Zeremonien, die mich mental stärkten. Unsere Bindung festigte sich, und ich konnte dem Geisterwolf allmählich Aufgaben in der realen Welt ausführen lassen. Es waren einfache Dinge, wie eine Tür aufzuschieben oder einen Eimer umzuwerfen. Doch so simpel es schien, brauchte ich dafür doch erhebliche Konzentration und Energie.
Im Haus bezog ich mein altes Gästezimmer. Bertold bot mir zwar Bernds ehemaligen Bereich an, doch dafür war ich nicht bereit. Obwohl ich spürte, dass sein Geist nicht mehr hier war. Er war gegangen, hatte sich aufgemacht, seinem Weg zu folgen und nicht an der Vergangenheit zu hängen, wie es einige Geister taten, die niemals weitergezogen waren.
Mein Einkommen war beachtlich, und für Kost und Logis zog Bertold mir nichts ab. Ich glaubte, er war froh, wieder Gesellschaft zu haben, und genoss unsere gemeinsamen Essen und Gespräche. Zu Weihnachten hatte sich Marlies, seine Frau, angekündigt. Darauf freute er sich sehr; er vermisste sie. Und wenn ich ehrlich war, freute ich mich fast genauso, denn Marlies war so etwas wie eine zweite Mutter für mich. Schon damals hatte ich ihr viel anvertrauen können, was ich sonst mit niemandem teilen konnte. Sie war es, die mich in den Arm nahm, wenn ich als Kind Angst im Dunkeln hatte, und die mich in meiner Jugend auffing, als mein Vater und ich immer wieder aneinandergerieten.
Meinen Vater hatte ich übrigens kaum noch zu Gesicht bekommen. Alle rechtlichen Angelegenheiten regelte mein Bruder. Mit ihm hatte ich öfter zu tun, und wir schafften es tatsächlich, uns ab und an zu treffen.
An diesem Abend stand wieder so ein Treffen an. Diesmal ging es in die Dorfschenke. Lange hatte ich mich dagegen gesträubt, denn dort würden so viele alte Gesichter aus meiner Jugend auf mich arten. Ich war lange nicht bereit dafür gewesen. Doch heute wollte ich es mit Gabriel wagen.
Das kam Bertold sehr gelegen, da er sich mit ein paar Geschäftspartnern treffen wollte und ich in der Burg nicht benötigt wurde. Also warf ich den lauten Motor des UTV an und holperte über die Landstraße Richtung Dorf. Weihnachten stand vor der Tür. Nur noch zwei Tage bis Heiligabend und dem Wiedersehen mit Marlies. Ob ich aufgeregt war? Ja, ganz sicher. Sie war meine Amme und Ersatzmutter, und auch die beste Freundin meiner Mutter, die ich nur aus ihren Erzählungen kannte.
Vor der Dorfschenke parkte ich, und draußen an der Tür stand Gabriel mit ein paar anderen und rauchte. Boris war dabei. Seit unserer Suche nach dem Wolf hatte ich ihn ein paar Mal in seinem Waffengeschäft aufsuchen müssen. Meist wegen Aufgaben, die der Graf mir dort zur Erledigung auftrug. So besserte sich unser Verhältnis langsam. Er war es auch, der mich in Bezug auf mein eigenes Equipment beraten hatte. Inzwischen hatte ich auf sein Anraten hin das Eickhorn gegen ein Mora Garberg Carbon ausgetauscht. Außerdem trug ich jetzt meist ein Leatherman Multitool am Gürtel und eine sehr helle Taschenlampe von Nitecore in der Hosentaschen. So hätte ich immer vernünftige Ausrüstung am Mann, wie er es sagte, die mich in meinem Job unterstützen und mir sogar bei Gefahr helfen konnte. Wie auch immer die aussah.
Ich stieg aus und ging zu ihnen. Ein großes Hallo begrüßte mich. Hände wurden geschüttelt und ein paar Floskeln ausgetauscht. Aber alles blieb an der Oberfläche – mehr Smalltalk, den ich eigentlich so hasste. Doch heute ließ ich ihn über mich ergehen.
Endlich hatten die anderen aufgeraucht, und wir gingen in die Schenke. Dort war es wohlig warm und nicht allzu voll. Ich erkannte einige Gesichter aus meiner Vergangenheit. Gabriel und ich steuerten einen Ecktisch im hinteren Bereich der Schenke an. Von hier hatten wir alles im Blick. Gabriel orderte schnell zwei Bier und zwei Kurze für uns. Nicht ganz mein Fall, aber ausnahmsweise ließ ich das zu. Wir sprachen kurz über die Arbeit, streiften noch kürzer unseren Vater, und schon setzte sich Boris zu uns, und wir sprachen über alte Zeiten.
Ein wenig unwohl fühlte ich mich hier aber schon. Lange Zeit war ich nicht unter Leuten gewesen. Auch jetzt fühlte ich mich wie ein Fremder. Ich ließ Boris und Gabriel erzählen. Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf die umliegenden Tische. Einige bekannte Gesichter und auch viele, die ich nicht kannte oder vielleicht schon vergessen hatte. Mein Blick wanderte zur Tür, als diese sich mal wieder öffnete. Jemand Bekanntes trat ein. Ein großer, breitschultriger Mann kam herein. Gleiche Frisur wie ich. Er musterte alle im Raum, und sein Blick traf auf meinen. Er stutzte. Fältchen umspielten seine Augen, als er lachte und schnellen Schrittes auf uns zukam.
Auch Boris und Gabriel bemerkten den Neuankömmling. Boris’ Reaktion war eher etwas abweisend, aber Gabriel wirkte erfreut. „Alles Illegale vom Tisch“, sagte er, „Die Bullen sind da!“
Und da stand der Fremde schon vor dem Tisch, und seine laute Stimme grüßte in die Runde.
„Mike. Alter Halunke. Wo hast du den Waldschrat gelassen?“
„Es war Zeit, ihn ziehen zu lassen, Alex. Komm. Setz dich und trink was.“
„Ein Glas wird mich ja nicht umbringen.“
„Gabriel sagte gerade, dass du bei der Polizei bist.“
„Ja. LKA.“
„Kein SEK?“
„Nein. Hat nicht gepasst. Bin doch eher Ermittler.“
„So kenne ich dich gar nicht. Warst doch in unserer Einheit immer der, der zuerst ins Feuer lief.“
„Ja. Stimmt. Aber ich bin nun älter und weiser!“
„Seit wann?“
„Penner! Wie früher. Ich habe gehört, du arbeitest jetzt für den Grafen.“
„Ja.“
„Da war dein Daddy aber sicherlich nicht erfreut. Ich hätte dich da übrigens auch nicht gesehen. Wäre nicht die Polizei auch was für dich?“
„Puh. Ich weiß nicht. Das ist mir eigentlich alles zu eng. Zu viele Regeln und Vorschriften. Nein. Das mit dem Grafen passt schon.“
Sein Smartphone vibrierte, und er entschuldigte sich, um den Anruf draußen entgegenzunehmen. Auch ich stand auf und folgte ihm. Mir war einfach zu warm in der Schenke, und es wurde Zeit für ein wenig frische Luft.
Alex stand ein paar Meter abseits und führte sein Telefonat. Er war angespannt. Gab wohl Anweisungen an seinen Gesprächspartner weiter und legte auf. Er drehte sich zu mir um und zuckte entschuldigend mit den Achseln.
„Tut mir Leid. Arbeit. Ich muss los.“
„Was ist passiert?“
„Ein Junge aus dem Dorf ist nicht nach Hause gekommen. Wir stellen gerade eine Suchmannschaft zusammen. Ich muss das koordinieren.“
„Brauchst du meine Hilfe? Ich bin inzwischen ein ziemlich guter Fährtenleser.“
„Ja. Jetzt, wo du es sagst. Es sieht so aus, als wäre er nördlich von hier in den Wald gegangen. Das müsste eigentlich das Gelände der alten Sägemühle sein. Die ist doch im Besitz des Grafen. Kennst du dich da aus?“
„Ich war in letzter Zeit ein- oder zweimal da. Wenn ihr da aufs Gelände müsst, habe ich den Schlüssel.“
„Das ist gut. Dann komm mit. Ich muss zu den Eltern des Jungen.“
Hier findest Du die Fortsetzung
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