Dies ist der der nächste Teil der Geschichte „Der Ruf des Bussards“. Wenn Du jetzt gerade erst einsteigst, geh doch mal zum Anfang.
Das war alles schon recht viel in der kurzen Zeit. Mein Kopf schwirrt enorm. Bernie und jetzt noch sein Vater, Moon und die Aufgabe, die vor mir liegt. Das hängt doch alles miteinander zusammen. Wie? Noch keine Ahnung. Wahrscheinlich sehe ich nach dem Besuch beim Grafen klarer.
Doch nun habe ich noch ein paar Stunden Zeit und schultere einen schweren Rucksack. Das Einzige, was meinen Kopf immer zur Ruhe gebracht hat, waren Wildnis und ordentliche Anstrengung.
So stapfe ich los und kämpfe mich mit meinem alten Armeerucksack bei voller Beladung durch den Schnee den Berg hinauf und wieder hinunter. Nachdem diese Tortur ein paar Mal wiederholt habe, bin ich schweißnass, mein Herz pumpt ordentlich und meine Lungen brennen.
Ich werfe den Rucksack ab und greife mir Pfeil und Bogen. Der einteilige, kurze Jagd-Recurve ist extrem zickig. Nachdem ich mein Heckler & Koch abgegeben hatte, wurde der Bogen meine Therapie. Der komplexe Bewegungsablauf bis der Pfeil die Sehne verlässt. Wie er sich durch die Luft bewegt und kraftvoll im Ziel einschlägt. Die Mitte der Pfeilfangmatte in 25 Meter Entfernung ist mein Ziel. Pfeil um Pfeil verlässt die Sehne.
Gerade der Weg des Bogens beruhigt mich heute sehr. Die Konzentration auf mein Ziel, ohne wirklich zu zielen, bringt mein Gedankenkarussell im Kopf zum Erliegen. Eine Stunde lang achte ich genau auf jede Bewegung! Der Blick zum Ziel. Die Konzentration auf den Punkt, den ich treffen will. Das Einnocken des Pfeils. Das Heben des Bogenarms und das Ausdrehen des Ellenbogens. Weiterhin konzentriere ich mich auf das Ziel. Ich ziehe die Sehne mit drei Fingern aus der Rückenmuskulatur bis zu meinem Ankerpunkt. Die Nocke berührt meinen Mundwinkel und die Federn des Pfeils kitzeln meine Lippen. Ich atme ruhig und mein Blick ruht auf meinem Ziel. Die Rückenmuskulatur zieht langsam meinen Zugarm nach hinten und dann können die Finger die Sehne nicht mehr halten und der Pfeil fliegt seinem Ziel entgegen.
Am Ende ruhe ich förmlich in mir selber, schließe meine Augen und denke, ganz bewusst an Moon. Sofort spüre ich, wie sich ihr Körper an meinen Beinen entlang schmiegt. Sie hechelt. Sitz neben mir ab. Drückt Ihren Körper an meinen Unterschenkel und ihr Kopf wendet sich nach oben.
Ich öffne meine Augen und begegne ihren Blick. Da ist so viel Verbindung. So intensiv. Mut, der sagt, lass uns Abenteuer erleben. Wir sind auf dem selben Weg.
Ja. Ich spüre diese Verbindung tief in mir drin. Und ich weiss, da ist noch mehr, als das Wrack, das ich zur Zeit bin. Der Eremit, der in den Wald zog, um zu heilen. Der Krieger, der zerbrochen aus dem Krieg kam, mit dem Blut seines besten Freundes an den Händen. Der Survivalist, der versuchte anderen das Überleben in der Wildnis beizubringen und doch in der Gesellschaft versagte.
Nun bin ich bereit. Bereit, den Vater meines toten Freundes zu treffen. Bereit, mein Leben wieder auf eine richtige Bahn auszurichten. Bereit, das nächste Kapitel in meinem Leben aufzuschlagen.
Es dämmert langsam und ich wasche mir den Schweiß mit kaltem Schnee vom Körper. Kurz kontrolliere ich die Stoppeln auf meiner Kopfhaut. Ich kann die Haarspitzen zwar spüren, aber die Rasur der Glatze hat noch Zeit. Mein Dreitagebart ist auch noch in Ordnung und so steige ich mit einer verwaschenen Jeans, die meine beste Hose ist und einem warmen Holzfällerhemd unter meinem Smock, in den Suzuki und fahre los.
Eine halbe Stunde später erreiche ich das Tor und und kurz darauf das zweistöckige Herrenhaus. Ein wenig abseits stehen links und rechts noch zwei weitere, kleinere Gebäude, die früher Stallungen und Lagerräume waren. Dort sind jetzt Autos und Werkzeuge für die Pflege des recht großen Anwesen untergebracht. Auch sie sind zweistöckig und beherbergen oben kleinere Wohnungen für das Personal. Heutzutage wirken sie wie kleine Villen, sind aber nicht so imposant, wie das Haupthaus.
Hier habe ich in meiner Kindheit und Jungend sehr viel Zeit verbracht, da mein eigenes Heim mich nicht wirklich haben wollte. Bernie und ich sind hier groß geworden. Wir waren damals so dicke. Uns konnte niemand und nichts trennen. Immer auf der Suche nach Abenteuern. Wir waren so voll Energie. So viel Tatendrang. Was ist davon geblieben? Nichts.
Der alte Diener Johann öffnet mir die Türe. Sein Blick ist skeptisch. Er taxiert mich. Ein kühles Willkommen ist das Einzige, was er für mich übrig hat. Er war schon immer etwas steif und arrogant gewesen. Und er war nicht nur einmal Opfer der Späße von zwei Jungs mit zu viel Energie geworden.
Im Speisesaal sitzt Bertold von Trausnitz an einer großen Tafel. Allein. Als ich eintrete, kommt er mit einem Lächeln auf nich zu und gibt mir die Hand. Der Händedruck ist fest. Er blickt mir in die Augen und lächelt.
„Michael, danke, dass Sie gekommen sind“
„Warum lassen Sie das Sie nicht einfach weg, wie früher?“
„Sie sind kein Junge mehr.“
„Und?“
„Na gut, Michael. Dann setz dich doch bitte!“
„Mike reicht vollkommen aus.
„Mike, in Ordnung. Wie war noch der Spitzname von meinem Sohn?“
„Bernie. Nach einem Film, den wir mal gesehen hatten. Bernie war eine Leiche, die von zwei Jungen Kerlen immer mit rumgeschleppt wurde und alle dachten, er wäre noch am Leben.“
„Tja. Nun ist mein Sohn nur tatsächlich tot.“
„Entschuldigung. Das war unpassend.“
„Nein. Ist schon gut. Er ist ja schon ein paar Jahre fort. Ich vermisse ihn nur.“
„Ich auch“
„Lass uns kein Trübsal blasen und endlich etwas essen!“
Trotzdem bleibt diese, auf einmal sehr greifbare, Distanz zwischen uns. So verläuft, das Essen recht schweigsam. Und irgendwie sitzen wir jeder für sich in seiner Gedankenwelt, wie zwei Fremde. Ich bin Gemeinschaft wohl nicht mehr gewohnt und der Graf wohl auch nicht. Doch langsam erdrückt mich die Stille, um mich herum. Dabei war das Haus früher immer voller Leben gewesen. Bernie und ich, seine Zwillingsschwester Kathrin und die Frau des Grafen, Marlies, haben die Räume zwar nicht mit Radau gefüllt, aber dennoch mit Leben. Das fehlt hier jetzt vollkommen.
„Wie geht es Ihrer Frau und ihrer Tochter“, versuche ich die unheimliche Stille zu verscheuchen.
„Kathrin hat uns verlassen.“
„Was meinen Sie?“
„Nachdem Berndt beerdigt worden war, wollte sie nicht mehr hier sein. Sie ist geflohen und kam nicht mehr zurück. Ich habe versucht mit ihr in Kontakt zu bleiben, aber sie hat das abgeblockt.“
„Das tut mir sehr Leid“
„Hm. Und Marlies konnte die Stille danach hier nicht mehr ertragen. Es war ihr alles zu düster und sie reist seitdem sehr viel. Manchmal kommt sie vorbei, aber nie für lange.“
„Warum reisen Sie nicht zusammen?“
„Ich bin zwar relativ wohlhabend, aber doch habe ich hier meine Aufgaben.“
„Welche Aufgaben? Ich bin mir sicher, dass ihr Geld schon von sich aus, weiteres Geld produziert. Alleine die Zinsen, müssten Ihnen ein sehr gutes Leben ermöglichen.“
„Das stimmt. Aber meine Aufgaben sind anderer Natur. Als Graf hier habe ich Aufgaben für das Land und die Gemeinschaft der Menschen. Ich bin in einigen wichtigen Organsisationen tätig, die ohne mich nicht wirklich laufen würden. Aber lass uns jetzt essen. Reden werden wir danach. Ich habe einen Vorschlag für Dich.“
Die letzten Sätze waren schon fast ein Befehl und ich gehorche. Aus Respekt vor dem Grafen und nicht weil man mir das als Soldat versucht hat, einzutrichtern. So verläuft das Essen in Schweigen, bis der Graf mich danach in seinen Arbeitssalon führt. Dort bietet er mir einen alten Single Malt und eine Zigarre an.
Hier ist sein Heiligtum. Hier hat er früher immer mit seinen Freunden und Geschäftspartnern gesessen und Geschäfte gemacht. Mein Vater und mein Bruder durften als seine Anwälte hier rein. Uns Jungs war das untersagt und so sitze ich hier zum ersten Mal dem Grafen gegenüber und fühle mich tatsächlich mal gleichwertig.
„So, Mike, jetzt ist die Zeit zum Reden! Ich möchte Dir einen Vorschlag machen. Dir fällt sicherlich die Stille hier auf. Ich will diese endlich durchbrechen und hier ein Wenig mehr Leben hineinbringen. Ich will, dass du für mich arbeitest und auch hier wohnst!“
„W-was?“
„Nein, hör mich bis zum Ende an! Ich brauche hier jemanden, der mich unterstützt. Das wäre eigentlich Bernds Aufgabe gewesen. Doch er ist nicht mehr hier. Du warst sein bester Freund und Du hast hier fast gelebt. Hattest Dein eigenes Zimmer. Dein Platz war immer hier. Den musst Du jetzt wieder einnehmen, verstehst Du.“
„Ich bin nicht ihr Sohn!“
„Nein, aber verdammt nah dran. Da ich Dich und Bernd erzogen habe. Dein Vater wollte dich nicht und daher warst Du immer hier. Ich habe ihm gesagt, dass er das so nicht machen kann, aber er sah immer Deine Mutter in Dir. Du konntest nichts dafür, dass Sie bei deiner Geburt starb. Aber er hat das nie verwunden. Daher habe ich versucht, seine Aufgabe so gut ich konnte, zu übernehmen. Und deshalb fordere ich Dich jetzt auch auf, dein Lotterleben aufzugeben und endlich was für Dich und mich zu tun!“
Ich schweige. Ich sehe ihn an. Sein Blick ist heute hart. Er will eine Antwort. Ich denke an meine Begegnung mit Bernd heute zurück. Kann es das sein?
Die nasse Nase von Moon stupst meine Hand an. Ich blicke herunter und sehe in ihre dunklen Augen, die mich auffordernd anblicken. Erzähl ihm alles, spricht sie in meinem Kopf. Auch ihre Stimme ist auffordernd.
Ich blicke auf. Sehe dem Grafen in die Augen und beginne zu erzählen. Alles was heute passiert ist. Die tote Wölfin, ihr Verschwinden, Moon, mein Treffen mit Bernie. Der Graf hört mir zu, unterbricht mich nicht und als ich das Treffen mit Bernie erzähle, blitzen tränen in seinen Augen auf.
Er hat mir immer zugehört. Auch früher. War mehr meine Vater als mein eigener Vater es jemals war. Wahrscheinlich war ich für ihn und seine Frau das dritte Kind neben den Zwillingen. Nur eben nicht von der selben DNA aber im Geiste und aufgrund der Situation, in der wir lebten.
Nachdem ich geendet hatte, liegt lange Zeit eine Stille zwischen uns. Aber nicht diese unangenehme Stille, wenn man sich nichts mehr zu sagen hatte. Ich bin froh dass es raus war und er verdaute das, was ich ihm erzählt hatte.
„Ist Dein Geisterwolf jetzt hier?“ fragt der Graf.
„Ja. Sie liegt rechts von mir neben dem Sessel.“
Er konzentriert sich. Atmet ruhig und gleichmäßig, als würde er versuchen, sich auf den Wolf einzustimmen – ihn zu sehen. Moon regt sich nach einer Weile. Seht auf und trottet zu ihm. Ihr Rücken berührt leicht seine linke Hand und dort verweilt sie.
Er lächelt. „Ja, ich kann das Fell an meiner Hand spüren.“
Nach einem Augenblick verschwindet Moon und der Graf öffnet die Augen.
„Ich war mir bis zu diesem Punkt nicht sicher, ob ich Dir das Angebot machen soll. Aber jetzt habe ich Gewissheit und bin vollkommen dazu bereit. Ich will Dich hier im Haus haben, als jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Der Aufgaben im Haus, in meinen Ländereien übernimmt und mich bei Aufgaben vertritt, für die ich inzwischen nicht mehr fit genug bin. Das sind auch Aufgaben, die meine Sohn hätte übernehmen sollen. Du sollst nicht seinen Platz einnehmen. Das kannst Du nicht. Aber als bester Freund meines Sohnes würde ich mich freuen, wenn Du seinen Weg weiterführst.“
„Was wären das für Aufgaben?“
„Tja, da musst Du ein Wenig die Katze im Sack kaufen. Was auf dich zukommen wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. Das werden ganz normale Tätigkeiten und Organisation rund um das Haus sein. Aber ich glaube, dass Du mehr übernehmen kannst. Auch welche, die schwieriger, delikater und wahrscheinlich auch gefährlicher sind. Da will ich aber jetzt nicht ins Detail gehen.
Ich möchte, dass Du hier wieder wohnst. In deinem Gästezimmer oder in dem Teil, in dem Bernd gelebt hat.
Außerdem werde wir einen vernünftigen Arbeitsvertrag abschließen, damit Du vernünftig sozialversichert bist und ein eigenes Einkommen hast. Es wird großzügig sein. Aber ich verlange dann auch viel von Dir. Klar wirst Du Zeit für Dich haben, aber eine wirkliche Wochenarbeitszeit hast Du nicht. Die Arbeiten können dich jederzeit fordern.
Wärst Du damit einverstanden?“
Schon während er es sagte, ist mir klar geworden, dass ich nicht nein sagen kann. Ich habe da so ein Gefühl der Verantwortung in mir. Nicht nur gegenüber von Bernd. Auch dem Grafen selbst gegenüber. Er und seine Frau hatten mich hier immer willkommen geheißen. Haben mir mit meinem Vater geholfen. Haben mich unterstützt. Ich muss hier auch mal was zurückgeben. Das ist mir schon immer klar.
„Ja. Lassen sie uns das tun!“
„Gut. Noch ein Glas?“
„Dann kann ich aber nicht mehr fahren.“
„Dein altes Bett steht für Dich bereit.“
„Okay“
„Und morgen früh erledigen wir den Papierkram. Mein Anwalt wird um 10 Uhr hier sein.“
„Oh!“
„Ja, ich weiss. Ich habe nach Gabriel geschickt. Das wird erstmal einfacher.“
„Das will ich hoffen.“
Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit.
So einfach wird das nicht werden. Da kommt ein gewaltiger Sturm auf mich zu!
Fortsetzung folgt...
Hat Dir die Geschichte gefallen? Dann lass doch einen Daumen nach oben da! Das würde mich sehr freuen. Aber auch, wenn er Dir nicht gefallen hat, kannst Du ihn mit einem Daumen nach unten bewerten. Toll wäre es, wenn Du mir ein Feedback gibst. Schreib mir einfach eine E-Mail an rb.bjoern.eickhoff@gmail.com