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Dies ist der der nächste Teil der Geschichte „Der Ruf des Bussards“. Wenn Du jetzt gerade erst einsteigst, geh doch mal zum Anfang.

Dies ist der nächste Teil der Geschichte „Der Ruf des Bussards“. Wenn Du jetzt gerade erst einsteigst, geh doch mal zum Anfang.

Es war alles schon zu viel in der kurzen Zeit. Mein Kopf schwirrte enorm. Bernie und jetzt noch sein Vater, Moon und die Aufgabe, die vor mir lag. All das hing doch miteinander zusammen. Doch wie? Ich hatte noch keine Ahnung. Wahrscheinlich würde ich nach dem Besuch beim Grafen klarer sehen.

Doch nun hatte ich noch ein paar Stunden Zeit und schulterte einen schweren Rucksack. Das Einzige, was meinen Kopf immer zur Ruhe brachte, waren Wildnis und ordentliche Anstrengung.

So stapfte ich los und kämpfte mich mit meinem alten Armeerucksack bei voller Beladung durch den Schnee den Berg hinauf und wieder hinunter. Nachdem ich diese Tortur ein paar Mal wiederholt hatte, war ich schweißnass, mein Herz pumpte ordentlich und meine Lungen brannten.

Ich warf den Rucksack ab und griff nach Pfeil und Bogen. Der einteilige, kurze Jagd-Recurve war extrem zickig. Nachdem ich mein Heckler & Koch abgegeben hatte, wurde der Bodnik Bow Ghost meine Therapie. Der komplexe Bewegungsablauf, bis der Pfeil die Sehne verließ, wie er sich durch die Luft bewegte und kraftvoll im Ziel einschlug. Den Ghost hatte ich mir aus einer Laune heraus gekauft, als ich aus Amerika zurückgekehrt war. Ich war monatelang bei meinem Freund Fox und habe von ihm viel gelernt – auch das Bogenschießen. Die kleinen Bögen haben mich immer fasziniert. Und als ich in dem Waffenladen von Boris Vater diesen schlanken, 50 Zoll langen Bogen mit seinem Furnier aus Maserbirke sah. Wie die dunklen Einschlüsse im hellen Holz einen Kontrast bildeten – das Dunkle im Hellen – das Böse im Guten – die Zerrissenheit in mir selbst. Da wusste ich, das er für mich bestimmt war. Boris hatte mich noch gewarnt, dass der Boden nichts für Anfänger sei. Zu kurz und zickig und seine jagdliche Zugkraft von fünfzig Pfund ordentliches Training erforderte. Un doch kaufte ich ihn mir.

Die Mitte der Pfeilfangmatte in 25 Meter Entfernung war heute mein Ziel. Pfeil um Pfeil verließ die Sehne. Gerade der Weg des Bogens beruhigte mich an diesem Tag sehr. Die Konzentration auf mein Ziel, ohne wirklich zu zielen, brachte mein Gedankenkarussell im Kopf zum Erliegen. Eine Stunde lang achtete ich genau auf jede Bewegung! Der Blick zum Ziel. Die Konzentration auf den Punkt, den ich treffen wollte. Das Einnocken des Pfeils. Das Heben des Bogenarms und das Ausdrehen des Ellenbogens. Weiterhin konzentrierte ich mich auf das Ziel. Ich zog die Sehne mit drei Fingern aus der Rückenmuskulatur bis zu meinem Ankerpunkt. Die Nocke berührte meinen Mundwinkel und die Federn des Pfeils kitzelten meine Lippen. Ich atmete ruhig und mein Blick ruhte auf meinem Ziel. Die Rückenmuskulatur zog langsam meinen Zugarm nach hinten, und dann konnten die Finger die Sehne nicht mehr halten – der Pfeil flog seinem Ziel entgegen.

Am Ende ruhte ich förmlich in mir selbst, schloss meine Augen und dachte ganz bewusst an Moon. Sofort spürte ich, wie sich ihr Körper an meinen Beinen entlangschmiegte. Sie hechelte. Sie setzte sich neben mir ab. Drückte ihren Körper an meinen Unterschenkel, und ihr Kopf wandte sich nach oben.

Ich öffnete meine Augen und begegnete ihrem Blick. Da war so viel Verbindung. So intensiv. Mut, der sagte: „Lass uns Abenteuer erleben. Wir sind auf dem selben Weg.“

Ja. Ich spürte diese Verbindung tief in mir drin. Und ich wusste, da war noch mehr, als das Wrack, das ich zurzeit war. Der Eremit, der in den Wald zog, um zu heilen. Der Krieger, der zerbrochen aus dem Krieg kam, mit dem Blut seines besten Freundes an den Händen. Der Survivalist, der versuchte, anderen das Überleben in der Wildnis beizubringen, und doch in der Gesellschaft versagte.

Nun war ich bereit. Bereit, den Vater meines toten Freundes zu treffen. Bereit, mein Leben wieder auf eine richtige Bahn auszurichten. Bereit, das nächste Kapitel in meinem Leben aufzuschlagen.

Es dämmerte langsam, und ich wusch mir den Schweiß mit kaltem Schnee vom Körper. Kurz kontrollierte ich die Stoppeln auf meiner Kopfhaut. Ich konnte die Haarspitzen zwar spüren, aber die Rasur der Glatze hatte noch Zeit. Mein Dreitagebart war auch noch in Ordnung, und so stieg ich mit einer verwaschenen Jeans, meiner besten Hose, und einem warmen Holzfällerhemd unter meinem Smock in den Suzuki und fuhr los.

Eine halbe Stunde später erreichte ich das Tor und kurz darauf das zweistöckige Herrenhaus. Ein wenig abseits standen links und rechts noch zwei weitere, kleinere Gebäude, die früher Stallungen und Lagerräume waren. Dort waren jetzt Autos und Werkzeuge für die Pflege des recht großen Anwesens untergebracht. Auch sie waren zweistöckig und beherbergten oben kleinere Wohnungen für das Personal. Heutzutage wirkten sie wie kleine Villen, waren aber nicht so imposant wie das Haupthaus.

Für uns Kinder war das Haus immer „Die Burg“ gewesen. Frei nach dem Internat „Burg Schreckenstein“, wie die Jugendbuchreihe hieß, die uns damals nicht losgelassen hatte. Seitdem war sie immer „Die Burg“. Auch als Bernd und ich längst erwachsen waren, nannten wir sie weiterhin so.

Hier hatte ich in meiner Kindheit und Jugend sehr viel Zeit verbracht, da mein eigenes Heim mich nicht wirklich haben wollte. Bernie und ich waren hier groß geworden. Wir waren damals so dicke. Uns konnte niemand und nichts trennen. Immer auf der Suche nach Abenteuern. Wir waren so voller Energie. So viel Tatendrang. Was war davon geblieben? Nichts.

Der alte Diener Johann öffnete mir die Tür. Sein Blick war skeptisch. Er taxierte mich. Ein kühles Willkommen war das Einzige, was er für mich übrig hatte. Er war schon immer etwas steif und arrogant gewesen. Und er war nicht nur einmal Opfer der Späße von zwei Jungs mit zu viel Energie geworden.

Im Speisesaal saß Bertold von Trausnitz an einer großen Tafel. Allein. Als ich eintrat, kam er mit einem Lächeln auf mich zu und gab mir die Hand. Der Händedruck war fest. Er blickte mir in die Augen und lächelte.

„Michael, danke, dass Sie gekommen sind.“

„Warum lassen Sie das Sie nicht einfach weg, wie früher?“

„Sie sind kein Junge mehr.“

„Und?“

„Na gut, Michael. Dann setz dich doch bitte!“

„Mike reicht vollkommen aus.“

„Mike, in Ordnung. Wie war noch der Spitzname von meinem Sohn?“

„Bernie. Nach einem Film, den wir mal gesehen hatten. Bernie war eine Leiche, die von zwei jungen Kerlen immer mit rumgeschleppt wurde, und alle dachten, er wäre noch am Leben.“

„Tja. Nun ist mein Sohn nun tatsächlich tot.“

„Entschuldigung. Das war unpassend.“

„Nein. Ist schon gut. Er ist ja schon ein paar Jahre fort. Ich vermisse ihn nur.“

„Ich auch.“

„Lass uns kein Trübsal blasen und endlich etwas essen!“

Trotzdem blieb diese, auf einmal sehr greifbare, Distanz zwischen uns. So verlief das Essen recht schweigsam. Und irgendwie saßen wir jeder für sich in seiner Gedankenwelt, wie zwei Fremde. Ich war Gemeinschaft wohl nicht mehr gewohnt, und der Graf wohl auch nicht. Doch langsam erdrückte mich die Stille um mich herum. Dabei war das Haus früher immer voller Leben gewesen. Bernie und ich, seine Zwillingsschwester Kathrin und die Frau des Grafen, Marlies, hatten die Räume zwar nicht mit Radau gefüllt, aber dennoch mit Leben. Das fehlte hier jetzt vollkommen.

„Wie geht es Ihrer Frau und Ihrer Tochter?“, versuchte ich, die unheimliche Stille zu verscheuchen.

„Kathrin hat uns verlassen.“

„Was meinen Sie?“

„Nachdem Bernd beerdigt worden war, wollte sie nicht mehr hier sein. Sie ist geflohen und kam nicht mehr zurück. Ich habe versucht, mit ihr in Kontakt zu bleiben, aber sie hat das abgeblockt.“

„Das tut mir sehr Leid.“

„Hm. Und Marlies konnte die Stille danach hier nicht mehr ertragen. Es war ihr alles zu düster, und sie reist seitdem sehr viel. Manchmal kommt sie vorbei, aber nie für lange.“

„Warum reisen Sie nicht zusammen?“

„Ich bin zwar relativ wohlhabend, aber doch habe ich hier meine Aufgaben.“

„Welche Aufgaben? Ich bin mir sicher, dass Ihr Geld schon von sich aus weiteres Geld produziert. Allein die Zinsen müssten Ihnen ein sehr gutes Leben ermöglichen.“

„Das stimmt. Aber meine Aufgaben sind anderer Natur. Als Graf hier habe ich Aufgaben für das Land und die Gemeinschaft der Menschen. Ich bin in einigen wichtigen Organisationen tätig, die ohne mich nicht wirklich laufen würden. Aber lass uns jetzt essen. Reden werden wir danach. Ich hätte da einen Vorschlag für Dich.“

Die letzten Sätze waren schon fast ein Befehl, und ich gehorchte. Aus Respekt vor dem Grafen und nicht, weil man mir das als Soldat versucht hatte, einzutrichtern. So verlief das Essen in Schweigen, bis der Graf mich danach in seinen Arbeitssalon führte. Dort bot er mir einen alten Single Malt und eine Zigarre an.

Hier war sein Heiligtum. Hier hatte er früher immer mit seinen Freunden und Geschäftspartnern gesessen und Geschäfte gemacht. Mein Vater und mein Bruder durften als seine Anwälte hier rein. Uns Jungs war das untersagt, und so saß ich hier zum ersten Mal dem Grafen gegenüber und fühlte mich tatsächlich mal gleichwertig.

„So, Mike, jetzt ist die Zeit zum Reden! Ich möchte Dir einen Vorschlag machen. Dir fällt sicherlich die Stille hier auf. Ich will diese endlich durchbrechen und hier ein wenig mehr Leben hineinbringen. Ich will, dass du für mich arbeitest und auch hier wohnst!“

„W-was?“

„Nein, hör mich bis zum Ende an! Ich brauche hier jemanden, der mich unterstützt. Das wäre eigentlich Bernds Aufgabe gewesen. Doch er ist nicht mehr hier. Du warst sein bester Freund und Du hast hier fast gelebt. Hattest Dein eigenes Zimmer. Dein Platz war immer hier. Den musst Du jetzt wieder einnehmen, verstehst Du.“

„Ich bin nicht Ihr Sohn!“

„Nein, aber verdammt nah dran. Da ich Dich und Bernd erzogen habe. Dein Vater wollte dich nicht, und daher warst Du immer hier. Ich habe ihm gesagt, dass er das so nicht machen kann, aber er sah immer Deine Mutter in Dir. Du konntest nichts dafür, dass Sie bei deiner Geburt starb. Aber er hat das nie verwunden. Daher habe ich versucht, seine Aufgabe so gut ich konnte, zu übernehmen. Und deshalb fordere ich Dich jetzt auch auf, dein Lotterleben aufzugeben und endlich was für Dich und mich zu tun!“

Ich schwieg. Ich sah ihn an. Sein Blick war heute hart. Er wollte eine Antwort. Ich dachte an meine Begegnung mit Bernie heute zurück. Konnte es das sein?

Die nasse Nase von Moon stupste meine Hand an. Ich blickte herunter und sah in ihre dunklen Augen, die mich auffordernd anblickten. „Erzähl ihm alles“, sprach sie in meinem Kopf. Auch ihre Stimme war auffordernd.

Ich blickte auf. Sah dem Grafen in die Augen und begann zu erzählen. Alles, was heute passiert war. Die tote Wölfin, ihr Verschwinden, Moon, mein Treffen mit Bernie. Der Graf hörte mir zu, unterbrach mich nicht, und als ich das Treffen mit Bernie erzählte, blitzten Tränen in seinen Augen auf.

Er hatte mir immer zugehört. Auch früher. War mehr mein Vater als mein eigener Vater es jemals war. Wahrscheinlich war ich für ihn und seine Frau das dritte Kind neben den Zwillingen. Nur eben nicht von der selben DNA, aber im Geiste und aufgrund der Situation, in der wir lebten.

Nachdem ich geendet hatte, lag lange Zeit eine Stille zwischen uns. Aber nicht diese unangenehme Stille, wenn man sich nichts mehr zu sagen hatte. Ich war froh, dass es raus war, und er verdaute das, was ich ihm erzählt hatte.

„Ist Dein Geisterwolf jetzt hier?“, fragte der Graf.

„Ja. Sie liegt rechts von mir neben dem Sessel.“

Er konzentrierte sich. Atmete ruhig und gleichmäßig, als würde er versuchen, sich auf den Wolf einzustimmen – ihn zu sehen. Moon regte sich nach einer Weile. Sie stand auf und trottete zu ihm. Ihr Rücken berührte leicht seine linke Hand, und dort verweilte sie.

Er lächelte. „Ja, ich kann das Fell an meiner Hand spüren.“

Nach einem Augenblick verschwand Moon, und der Graf öffnete die Augen.

„Ich war mir bis zu diesem Punkt nicht sicher, ob ich Dir das Angebot machen soll. Aber jetzt habe ich Gewissheit und bin vollkommen dazu bereit. Ich will Dich hier im Haus haben, als jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Der Aufgaben im Haus, in meinen Ländereien übernimmt und mich bei Aufgaben vertritt, für die ich inzwischen nicht mehr fit genug bin. Das sind auch Aufgaben, die mein Sohn hätte übernehmen sollen. Du sollst nicht seinen Platz einnehmen. Das kannst Du nicht. Aber als bester Freund meines Sohnes würde ich mich freuen, wenn Du seinen Weg weiterführst.“

„Was wären das für Aufgaben?“

„Tja, da musst Du ein wenig die Katze im Sack kaufen. Was auf dich zukommen wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. Das werden ganz normale Tätigkeiten und Organisation rund um das Haus sein. Aber ich glaube, dass Du mehr übernehmen kannst. Auch welche, die schwieriger, delikater und wahrscheinlich auch gefährlicher sind. Da will ich aber jetzt nicht ins Detail gehen. Ich möchte, dass Du hier wieder wohnst. In deinem Gästezimmer oder in dem Teil, in dem Bernd gelebt hat. Außerdem werden wir einen vernünftigen Arbeitsvertrag abschließen, damit Du vernünftig sozialversichert bist und ein eigenes Einkommen hast. Es wird großzügig sein. Aber ich verlange dann auch viel von Dir. Klar wirst Du Zeit für Dich haben, aber eine wirkliche Wochenarbeitszeit hast Du nicht. Die Arbeiten können dich jederzeit fordern. Wärst Du damit einverstanden?“

Schon während er es sagte, war mir klar geworden, dass ich nicht nein sagen konnte. Ich hatte da so ein Gefühl der Verantwortung in mir. Nicht nur gegenüber von Bernd. Auch dem Grafen selbst gegenüber. Er und seine Frau hatten mich hier immer willkommen geheißen. Hatten mir mit meinem Vater geholfen. Hatten mich unterstützt. Ich musste hier auch mal was zurückgeben. Das war mir schon immer klar.

„Ja. Lassen Sie uns das tun!“

„Gut. Noch ein Glas?“

„Dann kann ich aber nicht mehr fahren.“

„Dein altes Bett steht für Dich bereit.“

„Okay.“

„Und morgen früh erledigen wir den Papierkram. Mein Anwalt wird um 10 Uhr hier sein.“

„Oh!“

„Ja, ich weiß. Ich habe nach Gabriel geschickt. Das wird erstmal einfacher.“

„Das will ich hoffen.“

Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit.

So einfach würde das nicht werden. Da kam ein gewaltiger Sturm auf mich zu!

Hier findest Du die Fortsetzung
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