Der Felsen, der vor mir liegt, sieht schon vom Hotel sehr imposant aus. 857 Höhenmeter geht es von Normalnull heute bergauf nach La Mérica. Drei Liter Wasser habe ich im Rucksack dabei und energiegeladen bin ich durch ein gutes Frühstück auch.
Dennoch kommen mir bei dem Blick hinauf so meine Zweifel, ob ich für diese Art Kraxelei am zweiten Tag auf La Gomera schon bereit bin. Aber die Aussicht auf ein Abenteuer und vielleicht eine Grenzerfahrung sind stärker. Und so mache ich mich am Strand entlang auf den Weg nach La Calera.
Anfangs sind die Gassen dort noch sanft ansteigend, doch sehr schnell werden sie steil und schon steht man vor dem Ziegenpfad, der in Serpentinen den Berg erklimmt. Auch sie sind anfangs nur leicht ansteigenden. Doch je höher ich komme umso steiler werden sie. Zudem sind die Felsenstufen sehr ungleichmäßig. Kleineres Geröll liegt überall herum und ich muss bei jedem Schritt aufpassen, nicht auszurutschen.
Hinzu kommt ein Feind, mit dem ich so gar nicht gerechnet habe: die Sonne. Klar ist es heiß im Valle Gran Rey. Das habe ich schon auf meiner ersten Tour zum Wasserfall von El Guro gemerkt. Dennoch lag diese Tour noch recht schattig da. Hier brennt die Sonnen unbarmherzig den ganzen Vormittag auf den Ziegenpfad, den ich mich gerade rauf kämpfe.
Das Rührei vom Frühstück heute morgen motzt gewaltig in meinem Magen. Es würde gerne wieder raus. Am liebsten den Weg, wie es rein gekommen ist. Ich kämpfe nicht nur mit den Beinen gegen die Schwerkraft und den Anstieg. Auch der Rest meines Körpers ist nicht gerade hilfreich. Aber es bleibt alles drin.
Endlich finde ich einen Schattenplatz hinter einem Felsen. Erstmal Pause! Das durchgeschwitzte T-Shirt ausgezogen und in die Sonne zum Trocknen gelegt. Dann Wasser und eine Kochsalztablette damit die Batterien des Körpers wieder anspringen.
Eine Eidechse besucht mich, hockt sich auf mein T-Shirt und schaut mich an. Irgendwie habe ich das Gefühl, sie lacht mich aus. Wie ich hier auf halber Strecke schon total fertig sitze und mir zu wiederholten Male die Frage stelle, ob ich es nicht doch übertrieben habe.
Doch nach einer halben Stunde läuft alles wieder. Das Rührei motzt nicht mehr. Neue Energie fließt durch meine Adern und ich bin bereit für den Rest des Anstieges. Diese zweite Etappe klappt schon wesentlich besser. Doch es ist immer noch Kampf. Gegen den Schmerz in den Beinen, gegen den Zweifel im Kopf und gegen diesen heftigen und gottverdammten Anstieg.
Die Tour ist als Wanderung 37 auch im Rother Wanderführer zu finden. Doch die „bequemen Serpentinen“ haben mich fast in die Knie gezwungen. Oder ich habe den falschen Weg genommen? Auch die „Höhenbummelei“ habe ich nicht gefunden. Doch auch laut Karte ist da keine Alternativstrecke.
Jedenfalls ist der Anstieg nach zweieinhalb Stunden geschafft. Der Aussichtspunkt Riscos de la Mérica lohnt sich jedoch nicht. Dafür geht es jetzt eigentlich nur noch sanft bergauf. Ich komme an einer Ruine vorbei und finde dort neben einer Hauswand ein wenig Schatten, der mich zu einern Rast einlädt. Auch dort trocken ich die verschwitzten Klamotten in der Sonne und es wird Zeit für eine weitere Kochsalztablette. Die Hitze und die Anstrengung spült meinen Körper geradezu aus. Das ist echt enorm!
Dort treffe ich zwei weitere deutsche Wanderer, die sich auch ein wenig übernommen haben. Bis nach Arure treffe ich sie immer mal wieder. Wir machen ja die gleiche Tour.
Bis nach Arure geht es dann eher gemächlich weiter. Die An- und Abstiege sind recht sanft. Größere Anstrengungen gibt es kaum. Natürlich habe ich mir den Gipfel von La Mérica nicht nehmen lassen.
Um halb zwei komme ich endlich in Arure an. Dass man hier vom Valle Gran Rey mit dem Bus innerhalb von einer halben Stunde hoch kommt, fühlt sich wie ein schlechter Witz an.
Inzwischen steht die Sonne fast an ihrem höchsten Punkt und brennt unbarmherzig weiter. Eigentlich hatte ich mir gedacht von hier aus weiter in den Regenwald zu wandern, aber das schminke ich mir aufgrund der Tageszeit und der Hitze dann doch ab. Ich mache mich lieber auf den Rückweg, solange mein Körper noch den nötigen Antrieb hat. Den Regenwald plane ich für einen anderen Tag.
Und so knipse ich nur ein paar Fotos von Arure und mache mich auf den Rückweg. Der Höhenzug bis zu den Serpentinen fluppt natürlich recht gut. Obwohl selbst die kleinen Anstiege langsam an meiner Kondition zehren und meine Beine auf bergauf keinen Bock mehr haben.
Bei dem Einstieg in die Serpentinen treffe ich eine Wanderin, die auf ihren Partner wartete. Das Gespräch, was wir dort führten war sehr erhellend und hat mir einige Tipps für die nächsten Touren eingebracht.
Bergab ist sicherlich einfacher als berauf. Aber hier muss ich echt aufpassen nicht zu schnell zu werden. Ein falscher Schritt kann ausrutschen bedeuten. Das würde Verletzung oder sogar Absturz nach sich ziehen. Also rufe ich mich immer wieder zur Langsamkeit auf und schaffen den Abstieg in gut anderthalb Stunden. Natürlich bin ich einigen Wanderern zu langsam, die mich mit einem Affenzahn überholen, als gäbe es ein Zeitlimit für diese Joggingstrecke. Das ist krass!
Mit brennenden Füßen, ein paar Blasen und total geschafft komme ich im Valle Gran Rey wieder an. Etwas über sieben Stunden habe ich mich gequält und habe doch schöne Orte gefunden und ein wenig mehr über meine Belastungsgrenze erfahren.